NOVA Teampiloten im Portrait
Antti Haltiamieli (FINNLAND)
Wann und warum hast du mit dem Gleitschirmfliegen begonnen?
Ich habe 2013 mit dem Fliegen begonnen. Zuerst wollte ich Motorfliegen lernen, aber ich entdeckte sehr schnell, dass das Fliegen ohne Motor eine größere Herausforderung und mehr Freiheit bedeutet. Die Berge habe ich schon immer geliebt – ich war lange begeisterter Sportkletterer und habe auch als Kletterlehrer gearbeitet, was ich jedoch aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Durch das Gleitschirmfliegen konnte ich die Berge wieder aus einer anderen Perspektive kennenlernen.
Was gefällt dir am besten am Fliegen?
Das Gleitschirmfliegen definiert mein gesamtes Leben, es fällt mir also schwer, einen spezifischen Punkt herauszufiltern. Wenn meine Füße vom Boden abheben, spüre ich immer noch den gleichen Kick wie beim allerersten Mal. Die totale Einsamkeit unter den Wolken und der „Flow-Zustand“ sind für mich eine kraftvolle Erfahrung, der viele Dinge im Leben nicht ansatzweise nahekommen.
Hast du Idole im Gleitschirmsport?
„Idol“ ist vielleicht das falsche Wort. Ich schätze mich glücklich, dass ich Mentoren hatte, die mir dabei geholfen haben, weiter und sicherer zu fliegen. Kelly Farina war eine sehr große Unterstützung und hat mir geholfen, meine Fortschritte zu erkennen und hat mir von Anfang an eine gute Einstellung vermittelt. Nicky Moss hat mich immer unterstützt und war sehr positiv. Ich höre immer noch die Stimme von Steve Ham, wenn es turbulenter wurde: „Es ist nur eine Wolke.“
Hast du ganz große Ziele?
Auf jeden Fall! Für einen Mann mittleren Alters scheint es, als müsste man mehr und mehr Aufwand betreiben, um in Form zu bleiben und sich sowohl mental als auch körperlich weiterzuentwickeln. Ich hoffe, dass meine längsten und besten Flüge noch vor mir liegen. Es gefällt mir sehr gut, wie wir hier im finnischen Flachland versuchen, ständig die Grenzen des Möglichen zu erweitern. Aber auch in den Bergen gibt es noch so viele wunderschöne Lines zu erfliegen. Mein größtes Ziel ist es aber, gesund zu bleiben und so lange wie möglich fliegen zu können. Auch wenn dies früher oder später bedeutet, ein bisschen vom Gas zu gehen und nicht permanent unter erheblichem Risiko ans absolute Limit zu gehen.
Was sind deine Lieblings-Urlaubsziele und wo würdest du gerne mal hin?
Vor Covid-19 bin ich über 50 Mal ins Ausland gereist innerhalb der letzten fünf Jahre. Also war es dann auch mal schön, es ruhiger angehen zu lassen und in Finnland zu bleiben. Tatsächlich habe ich mich letzten Sommer so richtig ins Flachlandfliegen verliebt. Die Herausforderung ist eine ganz andere als das Fliegen in den Bergen. Hier in Finnland braucht man ganz andere Fähigkeiten, um weit zu fliegen. Unabhängig davon sind das Rift Valley (Kenia), Ager (Spanien) ganz weit oben auf der Liste, wenn die Grenzen wieder öffnen.
Was machst du sonst so, wenn du nicht fliegst?
Ich arbeite Teilzeit als Fluglehrer in meiner Flugschule Flying Finns Paragliding Academy, außerdem arbeite ich noch als Psychotherapeut und als Kinderpflege-Spezialist. Ich bilde mich ständig weiter und studiere die verschiedensten Fachgebiete, von Neuroanatomie bis hin zu Meteorologie. Aktuell bin ich dabei, meinen Master in Sozialarbeit abzuschließen.
Wie ist das Gleitschirmfliegen in Finnland?
Vor einem Jahr hätte ich geantwortet, dass es nicht sehr spektakulär ist, aber heute würde ich meinem damaligen Ich widersprechen! Ich bin überzeugt davon, dass Finnland einer der versteckten Schätze und gut bewahrten Geheimnisse ist, wenn es um das Gleitschirmfliegen geht. Das Fliegen an sich ist mental oft sehr anstrengend, da lange Flüge meist Abschnitte über unlandbarem Terrain, Seen oder großen Wäldern bedeuten. Auf der anderen Hand gibt es wiederum große Felder und super sichere Landemöglichkeiten.
Finnland ist sehr flach und aus diesem Grund muss man den Windenstart beherrschen, um in die Luft zu kommen. Abrisskanten für Thermik sind nicht immer so offensichtlich erkennbar wie in den Bergen. Aber wenn man es mal drauf hat, ist das Fliegen hier in Finnland eine Hammer-Erfahrung! Die Thermik ist normalerweise ziemlich smooth, sogar zu den stärksten Zeiten des Tages. Morgens und abends kann man dann eine angenehm sanfte Thermik genießen (wenn man es schafft, oben zu bleiben). Unser Flugsicherungssystem ist sehr kooperativ und man kann unter Absprache sogar mal durch kontrollierten Luftraum fliegen. An den langen Sommertagen gibt es hier Potenzial für 400+ km-Flüge.
Was möchtest du Besuchern mitgeben, die das erste Mal zum Gleitschirmfliegen nach Finnland kommen?
Für das Fliegen in Finnland benötigt man einen Windenschein oder zumindest einen Lehrer, der einem zeigt, wie es geht. Das geht dafür dann ziemlich unkompliziert und schnell. Wir schleppen auf großen Feldern oder abgelegenen Flugplätzen, weswegen man unbedingt einen Club oder eine Flugschule kontaktieren muss.
Ich habe hier nicht wirklich spezielle Lieblingsspots, weil wir sowieso immer versuchen, mit Rückenwind so weit wie möglich in eine Richtung zu fliegen. Tage, an denen FAI-Dreiecke möglich sind, kommen eher selten vor. Wir suchen uns einen Start am weit entferntesten Punkt aus und fliegen dann, bis der Tag zu Ende geht oder im besten Fall bis zur anderen Küstenseite oder zur russischen Grenze. Ich stelle gerne meine Hilfe zur Verfügung, wenn man einen einfachen 100 km-Flug oder einen anspruchsvollen langen Flug ins Auge gefasst hat. (Kontakt: info@flyingfinns.net)
Gibt es etwas, was du sonst noch sagen möchtest?
Ich denke, Gleitschirmfliegen ist mehr eine Kunst als ein Sport. Es ist wichtig, von Anfang an die richtigen Mentoren zu finden, aber auch, seinen eigenen Weg und seine eigenen Ziele zu finden und ihnen treu zu bleiben. Holt euch Ratschläge und seid bescheiden, feiert den „Anfängergeist“ so lange wie möglich.
PS: In Anttis Artikel im NOVA Team Blog könnt ihr noch mehr über das Flachlandfliegen in Finnland lesen. Und hier findet ihr den Artikel über die NOVA Pilots of the Year 2020. Auf XContest könnt ihr Anttis Flüge anschauen.