Irene und Remie stellten sich der Herausforderung
Biwakfliegen von der Gerlitzen über Werfenweng nach Mayrhofen
Vol-Biv ist die Kurzform für Vol-bivouac und bedeutet, dass man eine Strecke über mehrere Tage zu Fuß und mit dem Gleitschirm zurücklegt und dabei im Zelt in der Natur (meist oben am Berg) übernachtet. Das nötige Outdoor-Equipment führt man dabei selber mit. Irene und Remie haben eine Reise in diesem Format zum ersten Mal gewagt und teilen ihre Erfahrungen und Emotionen der Österreich-Tour mit uns. Wer also auch mit dem Gedanken spielt, (mehrtägiges) Biwakfliegen auszuprobieren, kann sich aus der Geschichte der beiden ganz sicher so einiges mitnehmen.
Wer seid ihr und wie seid ihr zum Fliegen gekommen?
Mein Name ist Irene Weijers und mein Partner heißt Remie Denehy. Ich bin halb Panamaianerin, halb Holländerin. Ich werde oft gefragt, wo ich herkomme, weil mein Akzent nicht wie andere klingt. Remie ist Australier, wie man vermutlich an seiner Aussprache erkennt. Ich bin in den Bergen Panamas aufgewachsen, bevor ich nach Europa gezogen bin. Daher fühle ich mich in den Bergen am meisten zuhause. Remie ist seit seiner Kindheit verrückt nach allen möglichen Bergsportarten, von Mountainbiken bis hin zum Snowboarden. Er liebt es, zu lernen, wie man sich am effizientesten durch das Gelände bewegt. Wir beide fliegen seit einigen Jahren, zum Beispiel im Zillertal, in Chamonix oder in Spanien. Wir besitzen beide einen Tandemschein und zusätzlich versuchen wir auch, so viele Soloflüge wie möglich zu machen. Meine entspannte Art und meine Liebe zu den Bergen weitet sich immer mehr in Richtung Streckenfliegen aus, und in letzter Zeit mehr denn je in Richtung Vol-Biv. Remie liebt es, sich neue Wege durch die Berge zu bahnen (je technischer umso besser) und er hat auch großen Spaß am „Wagga Wagga“ (bodennahes Fliegen).
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, eine Vol-Biv-Tour von der Gerlitzen nach Mayrhofen zu machen?
2020 war ein schräges Jahr. Letzten Winter hatten wir eigentlich geplant, so viele Vol-Biv-Abenteuer wie möglich zu erleben. Aber das Leben kann eigenartig sein und statt unsere ursprünglichen Pläne zu verfolgen, beschlossen wir, den Sommer durchzuarbeiten. Ende August hatten wir dann doch etwas Zeit und wir ließen uns von unserem Freund Martin mit dem Auto vom Zillertal an die Gerlitzen mitnehmen, von wo aus wir dann unsere Tour starten konnten. Diese Route sollte perfekt für uns passen, weil wir am Rückweg auf der Hälfte der Strecke in Werfenweng sogar einen Zwischenstopp bei Freunden machen konnten.
Was habt ihr über Anforderungen an die Ausrüstung gelernt?
Gleitschirmfliegen ist eine Sportart, bei der die Ausrüstung sehr wichtig ist, und noch wichtiger ist sie bei Vol-Biv. In der Vergangenheit waren wir mit billigen Zelten und ohne Kochutensilien unterwegs und haben unser Essen stattdessen kalt zu uns genommen. Diese Lösung machte uns nicht glücklich – und letztendlich ist doch der Spaß an der Sache der Grund, warum wir das hier tun. Ich mag die physischen und mentalen Herausforderungen, denen man während solcher Tripps stellt. Aber wenn sich jeder Teil der Reise als Katastrophe herausstellt, wird man sich wahrscheinlich nicht mehr für neue Reisen motivieren können. Der wichtigste Komfort-Faktor ist für uns ein gutes Schlafsystem (Zelt, Schlafsack und Unterlage) und eine ordentliche Ausrüstung zum Kochen – warmes Essen verbessert auf jeden Fall die Stimmung. Etwas, was uns definitiv fehlte waren Snacks. Wir haben Mahlzeiten teilweise ausgelassen, weil wir kein kostbares Tageslicht verschwenden wollten. Das werden wir aber beim nächsten Mal anders machen.
Wie ging es euch mit euren Schirmen?
Ich habe mich entschieden, den NOVA ION 5 auf die Tour mitzunehmen, weil er nun schon seit einem halben Jahr ein sehr guter Begleiter für mich ist. Die einfachen Start- und ruhigen Flugeigenschaften gefallen mir wirklich gut. Auch an schwierigen Plätzen konnte ich sehr gut starten und als vertrauenswürdiger Freund gab er mir genug Selbstsicherheit, um mich weiterzuentwickeln. Remie war mit dem MENTOR 5 unterwegs, welchen er inzwischen seit 2 Jahren fliegt und ihn sehr gut kennt. Ich habe in den letzten 2 Jahren sehr oft gehört, wie Remie den Schirm für seine Zuverlässigkeit lobte. Er ist überzeugt davon, dass man sich am besten weiterentwickeln kann, wenn man seine Ausrüstung so gut wie möglich kennt.
Wie war das Wetter während eurer Tour?
Wie man sich bestimmt vorstellen kann, ist das Wetter im September ziemlich schwer vorhersehbar. Dieser Monat war eigentlich nicht unsere erste Wahl, aber da dies nun einmal unser freier Monat war, ergriffen wir diese Gelegenheit sofort. Wir wussten, dass ein Abenteuer auf uns zukommen würde und wahrscheinlich war es genau das, was unsere Herzen noch höherschlagen ließ. An einem guten Sommertag könnte man die 300 km wahrscheinlich komplett fliegend zurücklegen, aber das war nicht der springende Punkt – wir wollten lieber die Herausforderung! An einigen Tagen konnte man aufgrund der niedrigen Wolkenbasis oder der stabilen Wetterlage nicht weit fliegen. Aber dafür schätzten wir die guten Tage umso mehr. Im Großen und Ganzen hatten wir dann doch genug gute Flugtage dabei und eine schöne Zugabe war, dass wir kein einziges Mal im Regen gehen mussten.
Wie habt ihr es geschafft, nach dem Landen wieder zueinander zu finden?
Was einige vielleicht nicht wissen, ist, dass viele Täler in den Alpen schlechten oder keinen Handyempfang haben. Das hat uns einige Male ziemlich überrascht. Wir haben Handys und Funkgeräte verwendet. Die Funkgeräte konnten wir gut im Flug verwenden, oder eben wenn der Telefonempfang zu schlecht war. Unsere Faustregel war: Wenn einer von uns tief gelandet ist, landet der andere weiter oben und wartet, bis der unten Gelandete raufgewandert kommt. Da Remie seit 3 Jahren fliegt und ich seit 2, wollten wir lieber auf der sicheren Seite sein und blieben deshalb immer möglichst nahe zusammen.
Was waren die emotionalsten Augenblicke auf eurer Reise?
An einem Tag sagte mir Remie, er hätte ziemliche Angst vor unserem Südstartplatz an der österreichischen Grenze. Der Wind blies mit satten 25–30 km/h und wir standen auf 2600 Metern. Es fühlte sich etwas wie Föhn an, obwohl keiner vorhergesagt war.
Am letzten Tag ging ich gleich nach dem Start wieder landen. Eine Mischung aus Müdigkeit uns Angst veranlasste mich zu dieser Entscheidung. Der bittere Nachgeschmack verflog jedoch sehr schnell, als sich eine Stunde später ein riesiges Gewitter über dem Tal aufbaute.
Wir vergossen beide ein paar Freudentränen während des Flugs von Zell am See in Richtung Wildkogel. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir die Hoffnung beinahe aufgegeben, fliegend Strecke zu machen. Das war eine totale Überraschung, weil wir bis 2 Uhr nachmittags aufgrund der zu stabilen Lage nicht starten konnten.
Habt ihr schon Pläne für euer nächstes Projekt und werdet ihr das nächste Mal etwas anders machen?
Wir möchten nächstes Jahr im Mai gerne eine Vol-Biv-Tour in Frankreich machen, bei der wir im Süden starten und dann in Richtung Genf reisen. Beim nächsten Mal möchten wir an unserem Timing arbeiten, da wir hier manchmal gewandert sind, wenn wir eigentlich fliegen sollten und geflogen sind, wenn wir noch warten sollten. Mit jedem Trip lernen wir uns außerdem besser gegenseitig kennen und wie wir als Team gut zusammenarbeiten können.
Habt ihr Tipps für Biwakflieger-Newcomer?
Tatsächlich muss man nicht Antoine Girard sein, um Biwakflüge zu machen. Man braucht lediglich eine Idee, ausreichend Motivation und gute Vorbereitung. Um ein selbstbewusster Pilot sein zu können, muss man sich mit seiner Ausrüstung vertraut machen und Erfahrung und Wissen zum Fliegen in den Bergen mitbringen. Beginne klein und arbeite dich langsam hoch. Starte nicht gleich damit, die Alpen von einem Ende zu anderen entlangzufliegen. Vol-Biv bedeutet einfach nur „Flug-Camp“, das schließt sowohl eine einzelne Übernachtung in den Bergen als auch große Abenteuer in weiter Ferne mit ein.
Irene und Remie teilen ihre wunderbare Österreich-Tour in zwei Videos: In >Part 1< legen die beiden die Strecke von Kärnten ins Salzburger Land zurück. Den zweiten Teil der Strecke inklusive glücklicher Landung im Ziel seht ihr in >Part 2<.