Über Wüstensand und Hochhäusern
Heli Schrempf bei den UAE Hike & Fly Championships
Einladung zu einem einzigartigen Abenteuer
Ein Hike & Fly-Rennen in der Wüste, u. a. mit Start vom Dach eines Wolkenkratzers. Location: Dubai. Die ersten UAE Hike & Fly Championships: ein ganz neues Format wartet auf die Hike & Fly-Szene.
iele der Emirate genießen keinen guten Ruf in Sachen Achtung der Menschenrechte. Soll ich an den Start gehen oder nicht? Nach sorgfältigem Abwägen entscheide ich mich für die Teilnahme. Meine Leidenschaft gilt dem Sport, dem Fliegen – und in jedem Land der Welt gibt es Menschen, die diese Leidenschaft teilen. Und vielleicht bringen wir Gleitschirmflieger auch ein kleines bisschen „Wind of Change“ mit in die Emirate.
liegerisch wird uns jedenfalls eine völlig neue Herausforderung erwarten – ein großes Abenteuer.
Ab in die Wüste
Kurzentschlossen suche ich Kontakt zu NOVA, mit der Bitte mich mit einem XENON zu unterstützen und um von dem Vorhaben zu berichten. Alles ist sehr kurzfristig, aber zu meiner Überraschung machen sie es möglich und stellen mir einen der neuen Ultraleicht-Zweileiner zu Verfügung – mit frischem Trimm-Tuning (nochmals danke dafür). Vorfreude macht sich breit.
och ein kurzer Flug mit dem XENON zuhause – dann machen wir uns auf den Weg in die Wüste Arabiens. Aber der endet erst mal in Wien! Der Corona-Test kommt später an als zugesagt und so fliegt der Flieger ohne uns in den Süden. Ticket umbuchen, Schlafplatz organisieren und darauf hoffen, dass der Schnelltest vor Ort rechtzeitig kommt. Das klappt dann auch…
Landung in Dubai. Abholen am Flughafen. Fix ins Hotel zum Frühstück. Aufgrund der Verspätung wird es ein ziemlich stressiger Tag. Dann steht die Besichtigung des ersten Tasks auf dem Programm.
Start vom Hochhaus-Dach?
Das „Address Beach Hotel“ ist ein krasses Bauwerk. Wir Gleitschirmpiloten sitzen auf der Terrasse am Fuß des 300 Meter hohen Hotels mit seinen 77 Stockwerken. Oben auf dem Dach befindet sich der „höchste Infinit Pool“ der Welt – Dubai liebt Superlative! Über einem Teil des Pools wird gerade unser Startplatz gebaut. Nach der Besichtigung diskutieren wir über den Ablauf des Wettbewerbs. Ja ganz richtig: der Veranstalter bindet die Piloten in den Ablauf ein, und wir treffen in einem Komitee die Regeln für den nächsten Tag.
So wird entschieden, den Start vom Hochhaus und den Flug nicht für Task 1 zu werten. Das nimmt den Druck von uns, einen ohnehin gefährlichen Start zu wagen, wenn die Bedingungen vielleicht nicht perfekt sind. Einen Unfall da oben zu vermeiden, steht im Vordergrund. Jeder kann für sich entscheiden, ob er den Start wagt oder nicht.
Noch eine schnelle Laufrunde durch die Stadt mit Markus, Tomi, Michi und Simon zum Strand, um die Landezone zu besichtigen. Angenehmste Wassertemperaturen. Gemeinsames Abendessen mit guter Stimmung. Diskussionen über morgen, wie es wohl werden wird auf dem Dach.
Task 1: Sprint in den 77. Stock und an den Beach
„Let‘s go up!“ Nach einem kurzem Sprint draußen geht es hinein ins Treppenhaus. Es fühlt sich bald an wie im Kettenkarussell. Immer im Kreis. Weiter, weiter, weiter rauf. Nach 35 Stockwerken, noch nicht mal die Hälfte, wird es brutal. Der Puls hämmert. Die Beine brennen. Weiter im Kreis, immer weiter. Dann endlich: ich erreiche den 77. Stock. Tageslicht, frische Luft – yes!
Kaum bin ich wieder bei Atem, stellt sich bei mir eine irre Euphorie ein. Ja, ich will starten – unbedingt! Einige meinen, der Wind sei noch zu schwach, ich solle warten. Aber 3,3 Kilo perfektes Startverhalten des XENON… Für mich ist klar: das passt! Ich packe den Schirm aus. Das zweite Aufziehen läuft perfekt! Der Schirm steht sauber über mir. Soll ich? Soll ich nicht? Ich will! Der Moment, an dem es kein Zurück mehr gibt, der letzte Fußabdruck, wenn man die Startplattform verlässt, ist unbeschreiblich! Hammer! Einzigartig! Ich wage zu behaupten, dass keiner von uns diese Emotionen je vergessen wird.
Landen am Strand. Dauergrinser im Gesicht. Einer nach dem anderen schwebt heran.
Alle sind fertig für die zwei Kilometer Zielsprint auf Zeit. Am Strand entlang, mit Gleitschirmrucksack auf dem Rücken zwischen den Badegästen durch. Ein etwas befremdlicher Anblick…
Ehrung des Tagessiegers und sofort wieder rauf zum Pool auf die Startplattform, die nur heute exklusiv für uns genehmigt ist. Der Wind steht perfekt auf der Flanke des Address Beach Hotels. Wir spielen mit dem extremen Startplatz bis die Lichter der Stadt angehen. Drei Starts durfte ich dort oben erleben. Sie werden auf immer in meinem Gedächtnis bleiben. Bis lange in die Nacht hinein kann ich kein Auge zumachen. Zu viele Emotionen drehen sich in meinem Kopf. Bilder dieser unglaublichen Augenblicke blitzen in Gedanken auf.
Task 2 am Djebel Jais
Der Auftakt in Dubai war einmalig und es wurde uns Einzigartiges geboten – das ist allen am nächsten Tag beim Frühstück klar. Bestens gelaunt begeben wir uns in das nächste Emirat zur Besichtigung für Task 2. Scharfkantige Felsen, enge Canyons und ein breites Tal in einer atemberaubenden Wüstenlandschaft erwarten uns dort.
Die Aufgabe für morgen ist klar. Also ab in die Luft über die Startplätze (Straße oder Campsite), Thermik mit 4 m/s und perfekte Bedingungen. Die Turnpoints abgeflogen und ein Genussflug Richtung Ziel. Die fast schon unwirkliche Landschaft um den Djebel Jais sorgt bei mir am Start für ein gewisses „Indiana Jones-Feeling“.
Tags drauf Task 2: Vom Start 900 Höhenmeter über Straßen und quer über scharfkantige Felsen Richtung Startplatz. Meine Idee, eine Abkürzung zu nehmen, entpuppt sich als hartnäckige Kletterpassage und kostet eine Menge Zeit. Endlich am Signboard – und ab in die Luft! Heute aber ins Lee und ganz schön turbulent. Mit Vollgas zum Zylinder und zurück zum Start, wo ich die meisten Piloten wieder einholen kann. Immer mit der Überlegung: „Wie komme ich schneller nach oben als die anderen?“
Ungeduld und Baustellen
Kleine Fehlentscheidung, zu früh losgeflogen – und abgesoffen… Mit dem Schirm in der Hand stehe ich auf einem kleinen Pfad zu ein paar Häusern und suche einen Startplatz. Endlich einen gefunden. Nach ein paar Versuchen zwischen den scharfkantigen Steinen hebe ich ab. Dann sehe ich eine gerissene B-Leine. Der XENON fliegt aber immer noch gut und bleibt voll beherrschbar. Also weiter! Zähe Thermik und endlich am Toplandeplatz zur Unterschrift am Signboard. Leinen repariert und wieder raus – ab Richtung Goal.
Fazit für heute: Puh, viel zu viele Baustellen! Und Staunen, was der XENON alles mitmacht. Super gelungener Schirm mit allem, was man braucht. Und ich muss zugeben, dass ich anfangs durchaus ein wenig skeptisch war.
Siegerehrung für Task 2. Ratschen mit den Kollegen über den Tag. Die Abendstimmung genießen in dieser einmaligen Landschaft.
Task 3: Ritt auf der Rasierklinge
Wir fahren durch die Wüste nach Al Faya. Eine markante Felskante mit vorgelagerter roter Sanddüne erwartet uns. Start und Ziel befinden sich in einem Sportgelände am Fuß der Düne. Beim Task-Briefing verändern wir Piloten den Task, um ihn so sicher wie möglich zu gestalten. So streichen wir einen Toplandeplatz, was sicher ganz gut war…
Kreuz und quer führt der Task die Kante entlang und auch raus ins Flache. Zu den Turnpoints, Signboards unten an der Kante und wieder zu Fuß rauf. Schaut mega-cool aus.
Nach dem Start bei der Sports Area geht es zu Fuß auf die Düne, weiter im Kitestyle. Wer seinen Schirm gut beherrscht und einen gut beherrschbaren Schirm hat, lässt sich aufwärts ziehen. Das ist viel weniger anstrengend, als im weichen Sand zu laufen. Sobald einer von uns so weit oben ist, dass er meint es trage, haut er sich raus. Airborn! Fünf Meter über Grund und der Beschleuniger auf Anschlag. Das Fliegen ist hart an der Grenze. Niemand gibt auch nur einen Meter nach. Wir ziehen mit wenig Abstand an den Felsen entlang, voll konzentriert und am Limit. Kleinste Fehler kosten viel – und schon fange ich mir zwei weitere kurze Hikes zu Fuß ein.
Später suche ich in XCTrack nach einem Wendepunkt, tippe auf dem Handy herum und teste unfreiwillig das Klappverhalten des XENON – voll beschleunigt (das sieht man auf dem einen Video). Der XENON bleibt brav, es passiert weiter nichts, aber es kostet mich sechs Plätze. Im Ziel erfahre ich leider auch von zwei Unfällen an diesem Tag. Man muss ganz nüchtern sehen: das bodennahe Vollgasfliegen ist ein Ritt auf der Rasierklinge.
Task 4 wird umgeplant
Den Pausentag habe ich nötig, um Erlebnisse und Gedanken zu sortieren, Emotionen zu ordnen.
Der letzte Task soll eigentlich in Abu Dhabi stattfinden, aber für dort ist sehr starker Wind vorhergesagt. Der Veranstalter entscheidet sich für einen weitere Task in Al Faya – mit taktischeren Turnpoints und vor allem: mehr Abstand zum Hang…
Was aber nichts am „racing mode“ ändert, den jeder hier wohl im Blut hat. Mein Fazit für die beiden letzten Tage: Vollgas allein ist nicht alles. Ab und zu mal Taktik vor die Skills an den Steuerleinen zu setzen, wäre durchaus angebracht.
Ohne Zwischenfälle geht der letzte Wettkampftag mit Soaring bis spät am Abend zu Ende. Gewaltige Lichtstimmungen. Bei Barbecue und Getränken – natürlich ohne Alkohol – klingt der Tag aus.
Vier unglaubliche Tasks in den Emiraten liegen hinter uns. Einzigartige Eindrücke und Emotionen mit Freunden sowie viel Airtime gehen zu Ende. Daneben Fliegen, Spielen, Genießen gemeinsam mit einheimischen Piloten und den fliegenden Veranstaltern. Ein herzliches Danke gilt allen Fahrern, Helfern, Kameraleuten und vor allem „Gih“ als Organisator, die uns das alles ermöglichten. Das Format hat definitiv Potenzial und fordert die Piloten in allen Bereichen.
Über den XENON
Der XENON hat sich als treuer Begleiter bei diesem extremen Hike & Fly-Abenteuer erwiesen. Gewicht, Packmaß, Gleitleistung und Geschwindigkeit sind voll auf Augenhöhe. Das Startverhalten begeistert und er bleibt im Extremflugverhalten gut kontrollierbar – solange der Pilot nicht auf dem Handy herumwischt. Das Besondere aber ist die Summe dieser Eigenschaften. Alles in allem eine sehr geniale Kombination.
Ich werde 2022 alle geplanten Hike & Fly-Races mit dem XENON bestreiten und mein Bestes im neu kreierten Hike & Fly-Weltcup geben. Events: X-Pyr, Eigertour, Dolomiti Superfly und UAE Hike & Fly Championships.
Danke für die Fotos an Adi Geisegger, Michael Schröder und Alex D‘Emilia
Weitere Informationen und Fotos: www.instagram.com/heli_schrem_pf/
www.instagram.com/uaehikeandflychampionship/
https://youtu.be/gJhyAmrOsNA – super-cooles Video des Rennens von Nick Donini und @alexdemiliavisual / @mountainfilm_crew, außerdem www.instagram.com/nickdonini/