NOVA X-Alps Athleten-Portrait
Junming Song (CHN)
Wie hast du dich als Gleitschirmpilot entwickelt – von den Anfängen bis heute?
Linzhou, meine Heimatstadt, ist seit den frühen neunziger Jahren die Wiege des Gleitschirmsports in China. Am Anfang war ich einfach neugierig. Ich folgte meinen Freunden, die bereits mit dem Fliegen begonnen hatten. Nach und nach verliebte ich mich in diesen Sport.
Vor 2004 kam ich aber nicht so oft in die Luft, weil ich neben der Arbeit wenig Zeit hatte. In China arbeiten wir viele Stunden. Später erlaubte mir ein Jobwechsel, viel mehr zu fliegen. Und je mehr ich flog, desto mehr wurde ich süchtig, desto mehr wollte ich fliegen usw. usw. usw. Dieser Kreislauf brachte mich schließlich dazu, meinen Job zu kündigen, der mir eigentlich viel Sicherheit und ein gutes Einkommen bot. Stattdessen eröffnete ich ein Geschäft für Outdoor-Bekleidung.
In den folgenden Jahren flog ich sehr viele verschiedene Schirme, die ich mir von Freunden auslieh, oder sie hatten mich gebeten, die Schirme auszuprobieren, weil sie meine Meinung hören wollten. 2006 konnte ich mir endlich einen zehn Jahre alten gebrauchten Schirm kaufen. Das war der erste Schirm, den ich je besaß. In den Jahren 2008 und 2009 erwuchs ein bisschen das Gefühl, dass ich meine Leidenschaft für das Fliegen verliere, aber durch die Teilnahme an Wettbewerben wurde diese Passion wieder erweckt.
2014 verließ ich Linzhou und zog nach Xi'an, wo sich das berühmte Gebirge Qin Ling befindet. Ich eröffnete meine eigene Flugschule und begann einen Vollzeitjob als Gleitschirmflieger. Jetzt bringe ich Menschen das Fliegen bei, teile meine Leidenschaft durch Tandemflüge und vertreibe NOVA- und BGD-Schirme in China.
Was bedeutet Gleitschirmfliegen für dich?
Zunächst einmal ist Gleitschirmfliegen der Sport, den ich liebe! Es ist der einzige Sport ist, den ich seit so vielen Jahren immer geliebt habe. Zweitens ist es auch mein Beruf. Ich mag einfach alles, was mit Gleitschirmfliegen zu tun hat. Meine Arbeit und mein Privatleben sind daher sehr eng miteinander verwoben. Gleitschirmfliegen bedeutet also irgendwie „alles“ für mich – welch‘ ein Privileg!
Wann hast du das erste Mal gedacht ‘ich will bei den X-Alps mitmachen‘?
Vor vielen Jahren kam Alex Hofer (Red Bull X-Alps Gewinner 2005 und 2007) nach China, um dort zu arbeiten. Wir lernten ihn kennen und hörten von diesem verrückten Rennen. Aber damals konnten wir uns nicht im Entferntesten vorstellen, wie es tatsächlich abläuft. Es lag viel zu weit weg, war eher ein Mythos.
Später begann ich dann mit dem Wettkampffliegen. Es gefiel mir sehr gut und ich konnte sehen, wie ich mich verbesserte. Je mehr internationale Wettkämpfe ich mitmachte, desto mehr begann ich, die X-Alps als ultimatives Ziel zu sehen – wenn es überhaupt jemals möglich sein würde… Durch das schnellere Internet erfuhren wir dann auch mehr über die Hardcore-Seite der X-Alps. Die Teilnahme an den X-Alps blieb aber zunächst ein ferner Traum, denn ich konnte mich nicht dazu entschließen, mich zu bewerben. Ich machte mir nicht nur Sorgen, wie schwer das Rennen sein würde, sondern auch, dass ich nicht ausgewählt werden würde.
Dann kam die Pandemie und ich bekam das Gefühl, die Zeit würde noch schneller vergehen. Also entschloss ich mich schließlich, es zu versuchen. Wie sollte ich das Ergebnis erfahren, wenn ich es nicht versuchte? Ich hoffte, dass ich die Chance bekommen würde, bei dem ultimativen Hike & Fly-Rennen Erfahrungen zu sammeln. Jetzt wird nicht nur ein Traum wahr, sondern es ist auch eine großartige Gelegenheit, zu lernen und mein Fliegen weiter zu verbessern. Also, hier bin ich!
Warum, glaubst du, wurdest du als Teilnehmer ausgewählt?
Ich hoffe, es klingt nicht dreist, aber ich denke, wenn Red Bull den ersten chinesischen Athleten auswählen würde, dann sollte ich es sein, weil ich seit über 20 Jahren leidenschaftlich, hart und erfolgreich für das Gleitschirmfliegen arbeite. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht wegen meiner Erfahrung bei Hike & Fly-Rennen ausgewählt wurde – ich habe fast keine – und auch nicht, weil ich ein außergewöhnlicher Athlet oder Alpinist bin. Ich nehme an, meine Hauptqualifikation ist, dass ich Chinese bin.
Was ist dein Ziel bei den X-Alps?
Obwohl ich das Rennen schon seit vielen Jahren online verfolge, ist es für mich völlig ungewohnt, an den echten X-Alps teilzunehmen und in den Alpen zu fliegen. Mein Hauptziel ist es, zu lernen – viel zu lernen! Natürlich möchte ich nicht ausscheiden oder verletzungsbedingt aufgeben müssen. Wenn ich bis zum 23. Juni im Rennen bliebe und bis zum letzten Moment kämpfen könnte, wäre das ein großer Sieg für mich.
Erzähl‘ mal ein bisschen von den Vorbereitungen. Was genau machst du?
Direkt nachdem ich ausgewählt wurde, begann ich mit den Vorbereitungen. Ich hatte das Glück, einen hervorragenden Trainer zu finden, der mich anleitet und meine täglichen Trainingseinheiten plant. Er half mir sehr, auf vernünftige und gesunde Weise stärker zu werden. Obwohl viele Leute meinten, dass die Zeit nicht ausreichen würde, um für ein solches Rennen bereit zu sein, ist das für mich in Ordnung, solange ich mich weiter verbessere. Am Anfang hatte ich noch Mühe, mit der ganzen Ausrüstung auf dem Rücken zwei Stunden lang zu wandern. Jetzt kann ich ohne Probleme zehn Stunden am Stück hiken und fühle mich gut dabei. Ich bin zufrieden mit meinen Fortschritten.
Auf der anderen Seite ging natürlich auch das Flugtraining weiter, wie zum Beispiel unkonventionellere Starts und Landungen. Ich habe auch eine Menge an meiner Ernährung und meinem Lebensstil geändert. Ich habe zwar kein professionelles Ernährungsteam, das mich unterstützt, aber ich versuche, so viel wie möglich zu tun, um besser zu werden.
Wie viele Stunden pro Woche investierst du in die verschiedenen Dinge, die zu tun sind?
- Vielleicht 2 Stunden für organisatorische Dinge.
- 3-5 Stunden für die Routenplanung zu Hause am PC.
- 30-40 Stunden für körperliches Training. Ja, das habe ich gebraucht!
- 5-7 Stunden für die Flugvorbereitung.
- 3-5 Stunden Routen-Scouting. Das hat sich natürlich von dem Moment an, als wir in Österreich angekommen sind, zu mehr Scouting verschoben.
Wie schätzt du dich als Pilot, Ausdauersportler und Alpinist, als Taktiker und mental ein?
In erster Linie bin ich ein begeisterter Pilot und das hat sich nie geändert. Ich bin ein Pilot, der immer bereit ist, zu lernen und sich zu verbessern. Ich bin ein Pilot, der großen Wert auf sicheres Fliegen legt. Und ich bin ein Pilot, der bereit ist zu teilen. Solange ich fliege, bin ich ein glücklicher Pilot. Als Ausdauersportler und Alpinist, denke ich, bin ich eher schwach. Deshalb hoffe ich auf gutes Flugwetter. Als Taktiker? Gute Frage. Ich bin zum ersten Mal richtig in den Alpen und weiß im Vergleich zu anderen Athleten sehr wenig über die Fliegerei dort und so gut wie nichts im Vergleich zu den X-Alps-Veteranen. Ich denke, ich werde meinem Instinkt als Pilot folgen – folgen müssen. Natürlich werde ich mit meinen taktischen Supportern in Verbindung bleiben, aber dabei mein eigenes Urteilsvermögen behalten. Mental bin ich ziemlich stark, würde ich sagen. "Arbeite hart für das, was du liebst", lautet mein Motto.
Was sind deine Schwachpunkte?
Das liegt auf der Hand: meine körperliche Fitness und dass ich mich in den Alpen praktisch nicht auskenne.
Zum Supporter-Team - Wer gehört dazu? Wer macht was?
Yan Chen ist unsere Helferin für alles. Sie ist Chinesin, lebt aber in Europa und ist ein Organisationsgenie. Sie übersetzt, hält die Kontakte und arrangiert fast alles. Ohne sie wäre ich gar nicht hier. Beni Friedli aus der Schweiz ist als NOVA Team Pilot unser taktischer Haupt-Supporter. Als erfahrener XC-Pilot und ehemaliger Gleitschirmfluglehrer ist er hauptsächlich für die Routenplanung zuständig. Muzi Li ist mein Unterstützer und Kletter-/Wander-Supporter. Im Moment versucht er, den Mount Everest zu besteigen und von dort zu fliegen. Hoffentlich kommt er gesund runter und rechtzeitig nach Europa. Bruce Chu übernimmt viele Rollen. Er ist einerseits mein persönlicher Sponsor und gleichzeitig mein Übersetzer, Fahrer und Assistent in der Trainings- und Scouting-Phase vor dem Rennen. Dann ist da noch Till Gottbrath, der für NOVA in der PR, als Pilots Team Captain und im Marketing arbeitet. Er hilft beim Scouting sowie als Informationsquelle im östlichen Teil der Strecke in Österreich und Deutschland.
Anna Cao Sha ist für Social Media zuständig, sammelt Informationen und hält den Kontakt zu unseren Sponsoren. Weiterhin gehört Shao Bo dazu. Er kümmert sich um die Unterstützung bei der Fluginformation, einschließlich der Interpretation von Flugrouten, der Nutzung von Software, der Einschätzung des Wetters, der Auslegung von Regeln usw. Wir werden auch ein oder zwei Foto- und Videorafen im Team haben. Und schließlich ist da noch die größte und wichtigste Stütze: meine geliebte Ehefrau Zhang Li.
Wie gut kennt ihr euch untereinander?
Die meisten von uns sind bereits gute Freunde. Wir treffen uns auch regelmäßig online, lernen neue Mitglieder kennen und teilen uns die Arbeitsprozesse. Wir kommen alle sehr gut miteinander aus. Ich habe Anfang Mai mit dem Training in den Alpen begonnen und ich glaube, wir werden ein richtig gutes Team sein. Ich freue mich schon sehr darauf!
Wie wichtig ist deiner Meinung nach Erfahrung?
Erfahrung ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Faktoren, die die Leistung im Rennen beeinflussen. Ich glaube, dass sie mehr als 40 % ausmacht. Es ist so wichtig, die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu treffen. Ich wünschte, ich hätte mehr Erfahrung, als ich tatsächlich habe...
Wie wichtig ist deiner Meinung nach die Ausrüstung?
Der Schirm? Ich würde sagen, vielleicht so um 20 Prozent. Man muss ihn kennen und sich damit wohl fühlen.
Worauf freust du dich am meisten? Wovor hast du Angst?
Ich freue mich auf gutes Wetter während des Rennens, damit ich mehr fliegen kann... Und ich habe Angst, dass sich meine Familie zu viele Sorgen um mich machen wird.
Thema Risiko-Management: Wie schaffst du es, bei den X-Alps so gut wie möglich abzuschneiden und dich trotzdem nicht zu sehr in Gefahr zu bringen?
Man darf die Erwartungen nicht zu hoch ansetzen! Ich denke, man darf sich manchmal kurz selbst überfordern, aber man darf sich keinesfalls permanent am Rande seiner Möglichkeiten bewegen. Gute Ergebnisse sind relativ, ich kann nur hart arbeiten und mein Bestes geben. Wenn ich im Rahmen meiner Möglichkeiten bleiben und dabei so gut wie möglich abschneiden, aber mit so wenig Risiko wie möglich fliegen will, dann denke ich, dass ich versuchen sollte, unnötige Fehler zu vermeiden und eine bessere Streckenplanung zu machen, konstant zu bleiben und das Tempo im Rennen zu kontrollieren.
Red Bull legt großen Wert auf die Social-Media-Aktivitäten der Athleten. Ist das nicht ziemlich stressig?
Ich denke, das ist eine gute Sache, weil dadurch mehr Menschen von den Red Bull X-Alps und vom Gleitschirmfliegen erfahren. Natürlich kostet es mich Zeit und Energie, mich damit zu beschäftigen, aber ich akzeptiere es. Es ist ein Teil des Spiels. Wir Athleten müssen uns vor Augen halten: Ohne Red Bull gäbe es das alles nicht!
Lass uns über Geld sprechen: Was denkst du, wie viel dich die Teilnahme an den X-Alps kosten wird? Wie bekommst du das Geld zusammen?
Haha... Das ist eine sehr wichtige Frage. Am Anfang wurde mir gesagt, dass es um die 20.000 Dollar kosten könnte. Aber ich denke, für einen Piloten wie mich, der die Alpen überhaupt nicht kennt, der kein Englisch spricht, der wenig Erfahrung mit dieser Art von Rennen hat, mehr Support als andere braucht und der sogar als Anfänger zum Fitnesstraining geht, brauche ich viel mehr Geld. Wahrscheinlich kostet mich das insgesamt 50.000 Dollar – oder sogar mehr. Ganz zu schweigen vom Verdienstausfall, weil ich während der Vorbereitung und des Trainings nicht arbeiten kann. Über das Geld denke ich besser gar nicht nach…
War/ist es für dich schwierig, Sponsoren zu finden?
Nein, es war nicht allzu schwierig, Ausrüstungssponsoren zu finden. Aber sie müssen ja auch nicht allzu viel bezahlen. Daneben gibt ein paar wenige Partner, die bereit sind, recht ordentlich Geld für mein Rennen zu zahlen. Die Sache ist die, dass ich am Anfang nicht genug Zeit und Mühe in die Sponsorensuche investiert habe, und dann habe ich gemerkt, dass es eine lange Vorbereitungszeit braucht, wenn man einen guten Sponsor finden will. Ein weiteres Problem ist, dass in China die Menschen außerhalb der Pilotengemeinde wenig über die X-Alps wissen. Potenzielle Sponsoren sind also auch weder mit dem Gleitschirmfliegen, noch mit den X-Alps vertraut.
Stehst du in Kontakt mit anderen Teilnehmern?
Solange wir in China waren, kaum. Jetzt in Österreich haben wir uns mit Richard Binstead getroffen und ich bin sicher, dass ich noch viele andere treffen werde. Es ist ein bisschen wie ein Familiengefühl und das gefällt mir. Ich bedauere wirklich sehr, dass ich kein Englisch spreche.
Möchtest du sonst noch etwas sagen?
Ja! Es ist eine große Ehre für mich, dass ich für die X-Alps ausgewählt wurde! Ich hoffe, viel zu lernen, einige Idee mit nach China zu nehmen und Hike & Fly-Rennen dort populärer zu machen. Noch eine Bitte alle, die mich unterwegs treffen: Bitte denkt nicht, dass ich unhöflich wäre, mein Englisch ist einfach so schlecht.