Wenn Träume wahr werden
Leo Gheza: Climb & Fly im Karakorum
Das Baltoro Mustagh an der Grenze zwischen Pakistan und China gehört zu den spektakulärsten Berglandschaften der Welt. Aber es ist alles andere als einfach, dorthin zu gelangen. Zuerst fliegst du nach Islamabad, der Hauptstadt Pakistans. Von dort nimmst du einen Inlandsflug nach Skardu und fährst dann weitere 140 km mit dem Jeep auf unbefestigten Straßen. Nun, gelegentlich ist das Wort "Straße" nicht wirklich angebracht. Es handelt sich um jene Art von Piste, die man in Fernsehdokumentationen über die "gefährlichsten Straßen der Welt" sieht. Schließlich sind es weitere 40 km Trekking auf schmalen Pfaden, felsigen Moränen und riesigen Gletschern bis zum Basecamp.
Baltistan ist landschaftlich eine unglaublich schöne Gegend – und die einheimischen Balti sind ebenso nett. Die Balti-Träger halfen uns, die gesamte Ausrüstung für den Aufstieg mitzunehmen, um einen Monat im Basislager auf 4.100 Metern zu leben.
Annäherung an den Bergsteigerhimmel
Die letzten Trekking-Kilometer führen über den Baltoro-Gletscher, ein gigantischer Eisstrom, bedeckt von unglaublich viel Geröll, der vom Concordia-Platz und dem berühmten K2 herunterkommt. Und dann, endlich, sehen wir den Uli Biaho Tower und die Trango-Türme. Sie gehören zur Trango-Gruppe, eine Kette von Granitgipfeln auf der Nordseite des Baltoro-Gletschers. Einige dieser Türme haben fast senkrechte Wände – ein Paradies für Kletterer. Wir sind völlig aus dem Häuschen!
Der Hochdruck hält an und das Wetter ist am 3. Juli und danach so gut, dass wir beschließen, dieses Zeitfenster zu nutzen, nachdem wir nur einen Tag im Basislager waren. Wir wählen den Nordostgipfel des Great Trango Tower mit 6.230 Metern. Wir steigen bis auf 5.400 Meter auf und planen, dort eine Nacht zu verbringen. Aufgrund der hohen Temperaturen ist der Schnee sehr weich und die Gipfel-Seracs entladen regelmäßig Tonnen von Eis... Also beschließen wir, in der Nacht zu klettern – und um fünf Uhr morgens stehen wir glücklich auf dem Gipfel.
Ich kann mein Glück fast nicht fassen
In der Hoffnung, fliegen zu können, hatte ich meinen BANTAM in den Rucksack gepackt. Das Wetter sieht nach wie vor gut aus. Sollte ich wirklich starten können? Mein Herz schlägt vor Aufregung schneller, als ich einen kleinen Gletscher kurz unterhalb des Gipfels checke. Nicht zu steil, nicht zu kurz... Schnell breite ich den Schirm aus, checke noch einmal den Wind – und ab geht's! Der Flug ist atemberaubend und ich bedaure, dass er im wahrsten Sinne des Wortes wie im Flug vergeht.
Natürlich befinde ich mich hier nicht in einem Fluggebiet mit großen, grünen Wiesen, auf denen man landen könnte. Es ist uneben, felsig, manchmal eisig und vor allem: noch ziemlich hochgelegen. Ich pfeife als richtig flott dahin… Genau deshalb hatte ich in den Tagen zuvor einen „Landeplatz" vorbereitet und etwa 20 Minuten vom Basislager entfernt eine kleine Fläche neben einer Moräne von den gröbsten Hindernissen „gesäubert". Obwohl ich eher ein Kletterer als ein Pilot bin, geht alles gut und ich lande ziemlich problemlos genau dort, wo ich wollte. Ein paar Stunden später kehren meine Begleiter pünktlich zum Mittagessen zu Fuß zurück.
Eine legendäre Route im Visier: Ewige Flamme
Das Wetter ändert sich und wir müssen uns damit abfinden, dass es nicht mehr stabil ist. Aber die Motivation bleibt unverändert hoch. So brechen wir nach ein paar Tagen der Ruhe am 8. Juli zum Nameless Tower auf. Das Ziel ist eine sehr berühmte Route mit dem schönen Namen 'Eternal Flame' (UIAA IX-, 22 Seillängen; mit einigen technischen Kletterstellen)! Sie wurde 1989 von den Deutschen Wolfgang Güllich und Kurt Albert erschlossen. Lange Zeit galt sie als die schwierigste Kletterei oberhalb von 5000 Metern.
Am ersten Tag gibt es "Gratis-Duschen". Der Schnee auf den horizontalen Bändern wird von der Sonne aufgewärmt und die Hälfte der Seillängen ist richtig nass. An einer „Sonnenterrasse" angekommen, brechen wir den Tag ab und verbringen die Nacht dort.
Zeit zur Umkehr
Am nächsten Tag klettern wir die höheren Seillängen. Ab ein Uhr verschlechtert sich jedoch das Wetter. Wir arbeiten uns bei eiskaltem Wind und Schneeregen aufwärts. Die Temperaturen liegen unter 0° Celsius. Um 16.30 Uhr sind es nur noch ein paar leichte Seillängen bis zum Gipfel. Es ist verlockend, diesen prestigeträchtigen Gipfel zu besteigen – aber zu welchem Preis? Schweren Herzens beschließen wir, umzukehren und abzusteigen. Keine schlechte Idee... Das Wetter wird immer schlechter, wir müssen uns beeilen. Da wir wissen, dass uns im Basislager unsere beiden Köche Fidel und Riaz erwarten, sind wir noch motivierter, so schnell wie möglich abzusteigen. Fidel und Riaz sorgen dafür, dass wir uns wie zu Hause fühlen, und verwöhnen uns kulinarisch: Dal (Linsen), Chapatis (Fladenbrot), Ziegenfleisch in Soße und andere Leckereien.
Vorbereitung auf das Hauptziel: Uli Biaho Spire
Das Wetter bessert sich leider nicht. Trotzdem beschließen wir, unser Hauptziel, den Uli Biaho Spire, in Angriff zu nehmen. Wir gehen auf Erkundungstour und nehmen jede Menge Ausrüstung mit, um ein Depot einzurichten. Wir klettern die beiden Rinnen hinauf und erreichen einen Sattel auf 5.200 Metern. Wir waren nur fünf Stunden lang aktiv, aber es war ein sehr produktiver Tag. Die benötigte Logistik ist nun klar, wir haben unser Hochlager identifiziert – und einen Plan!
Am 17. zeigt das Wetter Anzeichen von Besserung. Wir starten mit schweren Lasten, aber wir müssen schnell einsehen, dass es alles andere als einfach sein wird. Vom 5.200 Meter hohen Sattel, wo wir unser Zelt aufgeschlagen haben, erwarten uns eine Mixed-Querung und ein 70-Grad-Schneehang, der zum Fuß der Wand führt. Die Herausforderung ist nicht das Klettern als solches, sondern die hohen objektiven Risiken. Alles geht gut.
Am zweiten Tag gelingt es uns, die ersten 70 Meter zu eröffnen, eine glatte Platte voller Krusten und Schuppen, die schon beim bloßen Anblick brechen. Die Platte ist jedoch der einzige Zugang zur Verschneidung in der Mitte der Wand. Nach ein wenig Säubern, etwas technischem Klettern sowie ziemlich wahnsinnigem Freiklettern richten wir die ersten beiden Seillängen ein. Es ist der Nachmittag des 18., als wir beschließen, zum Basislager abzusteigen, um uns zwei Tage lang auszuruhen und die fehlende Ausrüstung zu holen.
Komplexe Off-Width- und tiefgekühlte Kaminkletterei
Am 22. brechen wir zum letzten Angriff auf und klettern bis zum Abend. Ein extrem anstrengender Tag, denn fast alle Seillängen sind Off-With-Risse oder führen durch gefrorene Kamine. Gegen neun Uhr abends bauen wir zwei Portaledges für die Nacht auf.
Nach ein paar Stunden Schlaf brechen wir am 23. um vier Uhr wieder auf. Ein paar Mixed-Seillängen und eine freie Seillänge führen uns zur letzten Unbekannten, einem weiteren, nicht ganz so breiten, komplett überfrorenem Kamin. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes „verbraucht", auch unsere Kleidung. Aber wir halten durch. Zwei weitere, dann leichtere Seillängen führen uns auf gegen 14 Uhr auf den Gipfel. Stolz! Es ist keine Wolke in Sicht, besser geht es nicht! Wir ruhen uns einen Moment aus und warten auf unseren Filmemacher Ettore Zorzini, der sich mit der Drohne zu uns gesellt, um einige Fotos und Videos zu machen. Angesichts des komplexen Abstiegs beschließen wir, einige Abseilstellen außerhalb der Aufstiegsroute einzurichten, um zu verhindern, dass die Seile in den eisigen Kaminen hängen bleiben.
Wir nennen die Route "Refrigerator Off-width"
Das Ergebnis ist ein physische anspruchsvolle, ziemlich komplexe Route, da sie von Freiklettern über technisches Klettern bis hin zu Mixed alles fordert. Wir nennen sie "Refrigerator Off-width". Der Name leitet sich von der Art des Kletterns in dem übergroßen Off-Width-Riss ab und von der Tatsache, dass dieser Riss, der die gesamte Wand durchschneidet, ständig kalte Luft ausspuckt.
Wir sind ziemlich erschöpft, aber wir wollen die letzten Tage im Basislager auch noch ausnutzen. Am 26. Juli brechen Ale und Fra auf, um die Slowenen-Route den Nameless Tower zu wiederholen. Ich ziehe es vor, am 27. Juli zu fliegen. Ich steige zu einem Sattel links des Nameless Tower auf 5.400 Metern auf, wo ich einen guten Startplatz finde. Ich darf einen weiteren dieser Flüge machen, die man sein ganzes Leben nicht vergisst.
Fazit: Pakistan Zindabad!
Am frühen Morgen des 28. brechen wir die Zelte ab und machen uns auf den Weg nach Payu, einem kleinen Weiler, wo die Welt endet – oder beginnt, je nachdem, von welcher Seite man kommt. Der Rückweg ist lang und man sagt uns, dass die Piste an vier Stellen blockiert ist, darunter zwei zerstörte Brücken. Nachdem wir zwei Tage lang in Jeeps durchgeschüttelte worden sind, schaffen wir es noch rechtzeitig und kommen am 29. abends in Skardu an. Wir fliegen pünktlich nach Islamabad.
Rückblickend ist unser gesamtes Team sehr zufrieden mit dieser Expedition. Wir haben perfekt zusammengearbeitet, wir hatten Glück mit dem Wetter, Glück mit den Routen – und ich hatte Glück mit dem Fliegen. Ettore, unser Fotograf, konnte das Unterfangen mit Foto- und Videomaterial dokumentieren, auch mit Hilfe von Drohnen, die er für den Schnitt eines Films über die Expedition verwenden wird.
38 Tage sind wie im Fluge vergangen. Pakistan Zindabad! (wörtlich: "Möge Pakistan ewig leben")
Leo Gheza