Pierre Carter schreibt Geschichte
Mit dem DOUBLESKIN vom Mount Everest
Bislang gelang es nur drei Teams, vom Mount Everest zu fliegen. Der französische Alpinist Jean Marc Boivin unternahm 1988 den ersten Flug vom Gipfel des Everest. Bertrand "Zebulon" Roche und Claire Bernier starteten 2001 als Erste mit einem Tandemschirm, ebenso wie Sano Babu Sunuwar und Lakpa Tsheri Sherpa 2011 als erste nepalesische Piloten. Seitdem lehnte das Ministerium für Kultur, Tourismus und Zivilluftfahrt alle Anträge ab. Für 2022 endlich erhielten Pierre Carter und der Australier Ken Hutt (63) die Genehmigung – allerdings nur vom South Col aus. Auf diesem Sattel zwischen Everest und Lhotse, auf fast 8.000 Metern, befindet sich das legendäre Camp 4, das letzte Lager vor dem Gipfelaufstieg. Von hier aus startete Carter mit unserem ultraleichten EN A-Schirm DOUBLESKIN und landete nach einem 20-minütigen Flug über 2.700 Höhenmeter auf rund 5.300 Metern bei Gorak Shep, einer kleinen Lodgesiedlung.Vor seiner Expedition schätzte der erfahrene Bergsteiger und Pilot seine Erfolgsaussichten auf fünf, bestenfalls zehn Prozent. Umso mehr freute er sich nach der Landung, dass der Wettergott ihm wohlgesonnen war und er das Privileg dieses Fluges erleben durfte. Denn das Vorhaben war keineswegs einfach und er musste viele Hindernisse überwinden. Pierre berichtet von den letzten Tagen am Everest:
„Nachdem unsere Gruppe von zwölf Bergsteigern in Team A (fünf von uns) und B (sieben von uns) aufgeteilt worden war, brachen wir am Montag, den 9. Mai erneut vom Basecamp auf. Wieder ging es durch den berüchtigten Khumbu-Eisfall direkt zum Lager 2 auf 6.500 Metern. Ein langer Tag also! Alle kamen unversehrt an – außer mir. Nach dem Eisfall wurde mir übel, und ich musste mich immer wieder übergeben. Nur mit größter Mühe kroch ich bis in Lager 2, ich brauchte einen Arzt. Doc Christian sagte nach eingehender Befragung durch das Basecamp, dass ich mir wahrscheinlich einen Virus eingefangen hätte. Er schlug vor, abzuwarten, ein paar Pillen zu nehmen und zu sehen, wie es mir morgen gehen würde.
Der nächste Tag brachte keine wesentliche Besserung. Während sich mein Team A darauf vorbereitete, am nächsten Morgen zum Lager 3 auf 7.200 m aufzubrechen, war ich total fertig. Ich würde auf keinen Fall mitgehen können. Also entschied ich mich, im Lager 2 zu bleiben, auf das Team B zu warten, um mit ihnen weiter aufzusteigen. So hatte ich noch ein paar Tage Zeit, um mich von den Strapazen zu erholen. Als die anderen schließlich am Donnerstag, dem 12. Mai, ankamen, hatte seit drei Tagen nichts mehr gegessen…
Zu unserer großen Freude erreichte Team A am Freitag, den 13. den Gipfel und befand sich jetzt im Abstieg. Team B und ich machten uns dann derweil auf den Weg zum Lager 3 auf 7.200 Meter, wo wir Team A trafen. Viele Umarmungen, Lachen, Freude – aber auch sehr erschöpfte Gesichter.
Oberhalb von Camp 3 geht man normalerweise mit Flaschensauerstoff. Ohne „O" war ich so geschwächt, dass ich nur 400 Meter aus dem Lager 2 herauskam und nicht weiter. Ich schlug meinem Sherpa Cheden vor, dass wir es mit extra O2 versuchen sollten. WOW, was für ein Booster!!! Es gab mir die Energie, die ich brauchte, und ich erreichte zu meiner Erleichterung problemlos Lager 3. Auch mein Appetit kehrte langsam zurück – ein sehr gutes Zeichen! Überhaupt erwies sich Lager 3 auf „O" als ziemlich angenehm.
Der nächste Tag war Samstag, der 14. Mai, mit der Nacht vor dem finalen Aufstieg. Der 15. war der Gipfeltag und – vielleicht – auch mein Flugtag. Nach einer langen Diskussion mit Dawa Steven Sherpa, dem Besitzer der Agentur Asian Trekking, im Basislager über das Wetter und meine Chancen, den Gipfel zu erreichen und auch zu fliegen, musste ich eine schwere Entscheidung treffen: den Everest-Gipfel besteigen oder vom South Col fliegen? Die Vorhersage: Der Wind sollte wechselnd mit 20 bis 40 km/h wehen und am Nachmittag ab 13 Uhr sollten sich die Wolken verdichten. Es war klar, dass ich nicht beides würde schaffen können. Wenn ich den Gipfel besteigen wollte, würde nicht mehr genug Zeit zum Fliegen bleiben. Was also tun?
Mein Gedanke war: ‚Der Gipfel ist immer da‘. Andererseits sind die Bedingungen in dieser Höhe extrem variabel – und beim Fliegen sind die Spielräume noch enger. Nur drei Teams konnten jemals vom Everest fliegen. Ich hatte jetzt die Genehmigung UND – hoffentlich – fliegbares Wetter. Die Entscheidung fiel mir dann leicht: Fliegen! Meine oberste Priorität war der Flug!
Der Weg hinauf zum Camp 4 auf dem South Col verlief relativ problemlos. Dank des zusätzlichen Sauerstoffs fühlte ich mich viel stärker. Wir machten uns auf den Weg hinauf und durch die berühmten Gelben Bänder und den Genfer Sporn und weiter zu Lager 4 auf etwa 8.000 Metern. Am Südsattel ruhten sich meine Teamkollegen für ein paar Stunden aus und brachen dann um 21 Uhr Richtung Gipfel auf. Ich wäre fast mit ihnen gegangen, war im Nachhinein aber froh, dass ich es nicht tat. Denn der Flugtag erwies sich schwieriger als gedacht…
Nachdem ich mich von meinen Teamkollegen verabschiedet hatte, betete ich im Stillen, dass ich bei leichtem Wind und ohne Wolken erwachen würde. Die Natur hatte jedoch andere Pläne, und ich schlief unter dem unaufhörlichen Flattern der Zeltbahnen ein. Der Morgen begrüßte mich mit herrlichem Sonnenschein und einem Wind von 20 bis 30 km/h – perfekt! Dazu die Nachricht, dass meine Kameraden gleich den Gipfel erreichen würden. Yes! Aber bei näherer Betrachtung war die Wolkendecke im ganzen Tal von Camp 1 (6.000 Meter) bis hinunter zur Stadt Lukla geschlossen. Wieder Zeit für eine Entscheidung! Sollte ich fliegen und in Lager 1 landen oder warten, bis sich eine Lücke in den Wolken auftut? Warten!
Die Sonne stieg höher, der Wind nahm zu. Um 10 Uhr blies es mit 40 bis 50 km/h, und die Wolken lösten sich immer noch nicht auf! Zu allem Übel waren sie nun bis zum Camp 2 (6.500 Meter) vorgedrungen. Verdammt! Hatte ich es vermasselt? Nun, ich hatte noch den ganzen Tag Zeit. Wir kehrten zum Zelt zurück, stopften den Schirm hinein und fügten eine weitere Runde „Parawaiting" hinzu, eine Disziplin, die vermutlich jeder Gleitschirmpilot nur zu gut kennt… Vom Zelt aus hatten wir einen guten Blick auf den Windsack und das Tal darunter. Meine Uhr zeigte 10 Uhr – nichts. 11 Uhr – nichts, keine Veränderung! Ich begann einzunicken, was leichter passiert, wenn man die Sauerstoffmaske abnimmt, als ich bemerkte, dass der Wind etwas nachgelassen hatte. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es fast 12 Uhr war. Zwei Stunden waren vergangen.
Ich kroch aus dem Zelt. Als ich ins Tal hinunterblickte, begannen sich die Wolken zu verziehen und das Basislager sah offen aus. Sofort sagte ich mir: ‚Jetzt oder nie!‘ Ich war extrem aufgeregt, hatte aber keine Angst. Wir holten den Schirm heraus und legten ihn aus. Der Start wurde zu einer großen Herausforderung, wenn auch nicht so, wie man es erwarten würde. Trotz des Windes musste ich feststellen, dass ich noch einen anstrengenden Anlauf nehmen musste – und das alles mit meiner „Michelin-Mann-Daunenbekleidung“. Eine extrem anstrengende Übung in dieser Höhe. 8.000 Meter können selbst mit einem EN A-Gleitschirm einiges anstellen. Aber mein DOUBLESKIN tat genau das, was er tun sollte: Er flog! Er flog wunderschön. Die Bilder erzählen den Rest…“
Der Flug dauerte etwa 20 Minuten, bis ich auf der Geländestufe oberhalb der Siedlung Gorak Shep landete. Die Höchstgeschwindigkeit über Grund betrug mit Rückenwind etwa 90 km/h. Bei der Landung in 5.300 Metern Höhe blies mir ein böiger Talwind von 30 km/h entgegen. Dass ich die Landung mit meinen riesigen 8.000-Meter-Stiefeln nicht stehen konnte, machte mir nichts aus. Es war einfach sooooooooo gut!!!“
Pierre Carter ist damit als Vierter mit dem Gleitschirm vom Mount Everest geflogen, und der Erste, der dies mit einer Genehmigung durfte. Es wird interessant sein zu verfolgen, ob die nepalesischen Behörden künftig weitere Permits erteilen.
Der Flug vom Everest war Gipfel Nr. 6 von Pierres laufendem Projekt 7Summits7Flights, das bis ins Jahr 1996 zurückreicht. Er will von den höchsten Gipfeln aller Kontinente fliegen. Obwohl ihm die Idee bereits Ende der 1990er Jahre kam, begann seine Mission erst 2005 mit dem Elbrus. Heute fehlt noch einer, der Mount Vinson in der Antarktis.
Pierre stellt aber ehrlich klar, dass der Everest nicht der einzige Berg war, bei dem die Behörden den Start vom Gipfel unmöglich machten: Am Denali (Nordamerika) hatte die Nationalparkverwaltung zuvor seine Ausrüstung konfisziert – die Verhältnisse hätten hingegen einen Flug erlaubt. Er sagt: „Natürlich wäre es cool gewesen, vom Everest-Gipfel zu fliegen, aber man muss die Tatsachen akzeptieren wie sie sind. Seien es der Wind, die Wolken – oder die nicht erteilte Genehmigung.“
Nachdem er sein Lebensziel erreicht hat, ist Pierre jetzt froh, wieder in sauerstoffreicher Atmosphäre und wärmerem Klima zu sein. Und langsam denkt er an den siebten der Seven Summits, den Mount Vinson – einschließlich der Herausforderung, 50.000+ USD aufzutreiben, um einen weiteren Traum zu verwirklichen…
Weitere Informationen: www.7summits7flights.co.za, www.instagram.com/7summits7flights/, www.facebook.com/pierre.carter.58, www.nova.eu/doubleskin