Mont Blanc Hike & Fly
„Luis, sollen wir auf dem Weg zum Coupe Icare einen Zwischenstopp in Chamonix einlegen, um auf den Mont Blanc zu gehen und runter zu fliegen?“ Ganz ernst gemeint war die Frage nicht, denn bei einem Zeitfenster von zwei Tagen erschien mir die Wahrscheinlichkeit für gutes Flugwetter sehr gering…
Am Tag vor der Abfahrt ist die Wetterprognose aber perfekt: Es sind keinerlei Wolkenbildung und 15 km/h Wind aus Nord auf 5500 Meter Höhe vorhergesagt. Darunter soll der Wind noch schwächer sein.
Luis und ich machen früh Feierabend und fahren Richtung Chamonix. Ziel ist ein Parkplatz in „Les Bettières“, den ich auf Google Earth ausgemacht habe – südwestlich von Chamonix, auf etwa 1400 Meter Höhe. Von dort gehen wir etwas nach 22 Uhr mit Stirnlampen los.
Meine höhenbergsteigerische Erfahrung beschränkt sich auf einige Dreitausender in den Ostalpen. Ich habe also keine genaue Vorstellung, was mich in der deutlich größeren Höhe des Mont Blanc erwarten wird… Darum wählen wir zu Beginn ein ausgesprochen langsames Gehtempo. Der Anstieg verläuft vorbei an den Hütten „Nid d’Aigle“ und „Tête Rousse“, die wir nach etwa viereinhalb Stunden passieren. Die Navigation ist mit Hilfe des GPS kein Problem. Und trotz fortgeschrittener Stunde empfinde ich die Wanderung als kurzweilig.
In Höhenmetern gemessen, haben wir jetzt etwa die Hälfte der Tour zurückgelegt. Ich bin guter Dinge, auch die zweite Hälfte locker zu meistern. Wir queren bald das steinschlaggefährdete „Grand Couloir“ und folgen dem Felsgrat zur Goûter-Hütte auf 3800 Meter.
Die Höhenlage bietet einen einmaligen Blick auf den Sternenhimmel – sie reduziert aber auch unser Gehtempo in ungeahntem Ausmaß: Die nächsten 500 Höhenmeter zum Vallot Biwak sind technisch ohne jede Schwierigkeit, beanspruchen aber trotz großer Anstrengung etwa zwei Stunden Gehzeit. Als Belohnung erleben wir einen Sonnenaufgang über der Aiguille du Midi, der die lange Nacht eindrucksvoll beendet.
Von dort aus geht es bei angenehmen Temperaturen und Windstille weiter über den Bosses-Grat, der stellenweise ausgesetzt verläuft und uns immer wieder konzentriertes Gehen abverlangt. Die Kombination aus Sauerstoff- und Schlafmangel ist dabei keine Erleichterung. Schließlich flacht der Grat stetig ab, wird breiter – und gegen 9:30 erreichen wir den Gipfel des Mont Blanc.
Mit uns stehen nur fünf weitere Bergsteiger auf dem Gipfel. Wir genießen die Aussicht und können unser Glück kaum fassen: Die Bedingungen zum Fliegen sind ideal. Der Wind weht sanft mit unter 5 km/h aus Norden, die Schneedecke ist hart genug, um nicht einzubrechen und der „Startplatz“ in Richtung Norden ist anfängertauglich.
Luis legt seinen IBEX aus, ich mache mich mit einem Hike & Fly-Prototyp startbereit. Nach wenigen Schritten sind wir in der Luft – wir fliegen vom Mont Blanc!
Ich mache noch ein paar Fotos und stecke die Kamera dann weg. Ich will den imposanten Ausblick auf das Mont Blanc-Massivs genießen. Wir fliegen in etwa unserem Aufstiegsweg entlang. Erst jetzt wird mir die Dimension unseres nächtlichen Anstiegs bewusst.
Nach kurzer Suche aus der Luft finde ich auch unseren Ausgangspunkt, und lande – ziemlich genau zwölf Stunden nach unserem Aufbruch – direkt neben dem Parkplatz. Ich lasse den Schirm und meinen Rucksack neben dem Auto fallen und will mich nur kurz auf den Beifahrersitz setzen, bevor ich mein Equipment einpacke. Offenbar fällt jetzt die Anspannung ab, und ich schlafe für eine Viertelstunde sitzend ein.
Nach ein paar Stunden Rast erholen wir uns mit einem ausgiebigen Essen und fahren weiter zum Coupe Icare. Nächstes Jahr, wenn das Wetter vor dem Coupe Icare wieder gut ist, würde ich vielleicht noch einmal rauf gehen.
Info
Zum Aufstieg auf den Mont Blanc und zum notwendigen alpinistischen Equipment gibt es unzählige Infos im Netz, die man unbedingt einholen sollte, z.B. hier: http://kalnuklubas.lt/MontBlanc.pdf
Das Fliegen vom Mont Blanc ist zwischen dem 1. Juli und dem 31. August grundsätzlich verboten! Grund sind hunderte Gipfelaspiranten an Schönwettertagen, bzw. die damit verbundenen Hubschrauberbergungen.
Wir haben – Ende September – während des gesamten Anstieges nur 20 bis 30 Leute gesehen.