NOVA X-Alps Athleten-Portrait
Nick Donini auf einer besonderen Mission während der X-Alps 2023
Bitte erzähle uns mal, wie du dich als Gleitschirmpilot entwickelt hast – von den Anfängen bis heute?
Angefangen habe ich durch meinen Vater. Er war und ist immer noch verrückt nach Gleitschirmfliegen. Er war einmal Weltmeister, zweimal Europameister – und vieles mehr. Als ich drei Jahre alt war, nahm er mich zu meinem ersten Tandemflug mit. Das Gleitschirmfliegen war also irgendwie immer ein Teil meines Lebens. Als ich neun oder zehn Jahre alt wurde, durfte ich mit dem Groundhandling beginnen. Wir wohnen in Molveno am wunderschönen Lago di Molveno, und jeder, der schon einmal dort war, weiß, dass dies ein großartiger Ort ist, um in der Bora am Nachmittag mit dem Schirm zu spielen.
Dass ich mich so früh in das Gleitschirmfliegen verliebte, machte mein Verhältnis zu den anderen Jungs im Ort etwas seltsam: Sie spielten Fußball und ich mit meinem Schirm. Eigentlich war mir das ein bisschen peinlich, denn in dem Alter will man ja zu den Gleichaltrigen gehören. Aber das Groundhandling bereitete mir so viel Spaß, dass ich es auch alleine machte. Ich weiß, dass ich etwas introvertiert und eher schüchtern bin; vielleicht hängt das alles miteinander zusammen…
Als ich 11 wurde durfte ich mit der Erlaubnis meines Vaters meinen ersten Soloflug machen. Ich wusste schon vorher, dass das mein Ding ist, also war es nur eine Bestätigung: Ja, das ist es wirklich!
Hatten deine Eltern Angst, als du alleine geflogen bist?
Haha, man könnte leicht denken, dass ich als junger Kerl vielleicht ein bisschen verrückt war, als ich fliegen ging. Aber meine Mutter hat sich immer mehr Sorgen um meinen Vater gemacht als um mich. Er ist auch heute noch total crazy und gibt immer Vollgas. Klar, er ist ein wirklich brillanter Pilot und hatte noch nie Probleme. Aber manchmal habe ich Angst um ihn, wenn ich zuschaue, wie er fliegt...
2012 durfte ich dann endlich meine Lizenz machen. Ich nahm dann auch gleich an meinen ersten Wettbewerb teil – und gewann sofort! Zur Überraschung aller wurde ich italienischer Meister. Das habe ich vor allem meinen Lehrern und Mentoren zu verdanken. Neben meinem Vater sind das Aaron Durogati und Joachim Oberhauser, beides Weltklasse-Piloten, nette Jungs und gute Freunde.
Acro gehörte auch immer zu meinen Interessen. Ich habe mir die Tricks auf YouTube Videos angeschaut und es einfach ausprobiert. Ich flog damals noch einen normalen Schirm und übte nur Heli und andere einfache Tricks – nichts Ernstes.
Was bedeutet dir das Gleitschirmfliegen heute?
Ich weiß es nicht wirklich (lacht), gute Frage. Ich würde sagen, es ist einfach ein Teil meines Lebens. Es ist sicher nicht alles – aber doch ein wesentlicher Teil.
Wann hast du zum ersten Mal gedacht: Ich will bei den X-Alps mitmachen?
Das erste Mal, dass ich dachte, 'das ist cool', war 2015. Da ging Peter Gebhard an den Start, ein weiterer Südtiroler. Aber es erschien mir wie etwas völlig Unmögliches. Die X-Alps lagen gefühlt unerreichbar weit weg! Aber dann habe ich bei einigen lokalen Hike & Fly-Rennen mitgemacht, sowie Ironfly und Dolomiti Superfly. Also nahm ich im Herbst 2020 all meinen Mut zusammen und bewarb mich für die X-Alps. Eigentlich meinte ich meine Bewerbung nicht wirklich ernst, denn ich hatte das Gefühl, noch nicht gut genug zu sein. Als sie mich dann angenommen haben, war ich ziemlich überrascht.
Was glaubst du, warum du als Teilnehmer ausgewählt wurdest?
Für 2021 weiß ich das nicht so genau. Ich glaube, ich war von den Wettbewerben her recht gut bekannt. Aber bei den anderen Hike & Fly-Rennen war ich nicht gut unterwegs. Auch meine körperliche Fitness ließ noch zu wünschen übrig. 2023 spielte, glaube ich, mein allgemeines fliegerisches Können eine Rolle, meine Erfahrung von der letzten Ausgabe und auch der Dokumentationsfilm ‚Vulnerability‘ half sicher ein wenig. Red Bull weiß solche Bemühungen zu schätzen.
Generell habe ich den Eindruck, dass Red Bull einen immer mehr Wert auf Sicherheit legt! Sie wollen sicherstellen, dass man ‚Nein' sagen kann. Die X-Alps sind definitiv gefährlich, die Sicherheit sollte daher immer an erster Stelle stehen!
Was ist dein Ziel für die diesjährige Ausgabe?
Mein großer Traum ist es, das Ziel zu erreichen. Das wäre der absolute Wahnsinn! Wenn ich auf 2021 zurückblicke, ist vielleicht ein Platz unter den ersten 15 ein realistisches Ziel. Ich bin auf jeden Fall fitter als beim letzten Mal, wir haben mehr Zeit in die Planung und Strategie gesteckt, und ich kann auf mehr Erfahrung zurückgreifen.
Erzähle uns bitte mal von deinen Vorbereitungen. Was genau machst du?
Das ist absolut geheim! (lacht...) Einer meiner Supporter, Marco Recchia, ist Physiotherapeut und Personal Trainer. Er hat einen guten Trainingsplan für mich erstellt, manchmal tageweise und manchmal wöchentlich. Ich teile ihm über WhatsApp mit, wie ich mich fühle. Und dann wird der Plan angepasst. Wir haben viel an der Ausdauer gearbeitet, manchmal sehr lange Trainingseinheiten bei sehr niedriger Intensität – ein bisschen wie ein Diesel-LKW. Aber wir haben auch kurze, hochintensive Einheiten eingebaut, die wirklich schmerzhaft sein können.
Was das Fliegen betrifft, so habe ich für die X-Alps nichts Spezielles geübt. Der Großteil meiner Flüge sind Testflüge mit NOVA-Prototypen zusammen mit Fabian Gasteiger und wir machen ohnehin meistens Top-Landungen. Das ist auf jeden Fall hilfreich. Aber sonst gab es nichts Besonderes.
Gemeinsam mit meinem Team haben wir die Routenplanung intensiviert. Denn es gibt einige ‚da-sollte-man-sich-sehr-gut-auskennen-Gebiete‘ mit mehreren Routenvarianten. Da kann man leicht Zeit verlieren, z. B. rund um den Montblanc oder von Fiesch nach Niessen. Auch das Achental bis Lermoos wird eine Herausforderung sein, denn in Deutschland dürfen wir nur mehr offizielle Startplätze nutzen. Außerdem spiele ich oft mit Condor (www.condorsoaring.com). Das ist eine großartige Flugsimulations-App für Segelflugzeuge, programmiert von NOVA Pilots Teamkollege Uros Bergant. Es ist ein wirklich hilfreiches Planungsinstrument für Gebiete, die man nicht oder nur wenig kennt – gerade bei schlechtem Wetter.
Ursprünglich hatten wir auch geplant, einige Routen vor Ort zu erkunden. Wir wollten in die Schweiz fahren, aber das Wetter war so schlecht. Schließlich blieben wir zu Hause.
Auf der organisatorischen Seite haben wir viel an der Logistik des Rennens gearbeitet. Wir versuchen, alles Notwendige dabei zu haben, aber trotzdem leicht zu sein. Schlafen, Essen, Ausrüstung im Allgemeinen – alles auf die intelligenteste Art und Weise. Außerdem haben wir uns mehr um die bestmögliche Kommunikation gekümmert: Funk, Telefon, Internetverbindung, usw. Für das Essen haben wir eine sehr gute Lösung gefunden: vorgekochte Mahlzeiten. Die werden vakuumiert und dann stellen wir sie in den Kühlschrank des Wohnmobils. So bekomme ich genau das, was ich brauche – Proteine, Kohlenhydrate, Fett, Mineralien usw. Außerdem bekomme ich, was mir schmeckt. Meine Familie betreibt das Hotel Olimpia in Molveno und der Chefkoch unseres Hotels kocht alles für mich. Er ist ein netter Kerl und ein großartiger Koch.
Wie viele Stunden pro Woche investierst du in die verschiedenen Dinge, die auf deiner To-Do-Liste stehen?
Für das körperliche Training zwischen 8 und 10 Stunden pro Woche. Für Organisation nicht so viel, ein Treffen pro Woche, also insgesamt 3 Stunden. Fliegen ist mein Beruf. Ich fliege an jeden fliegbaren Tag. Strategie und Routenplanung summieren sich auf vielleicht 4 Stunden pro Woche.
Wie schätzt du dich als Pilot, Ausdauersportler und Alpinist, sowie als Taktiker und mental ein?
Als Pilot vielleicht 7/10, ich lerne immer noch viel. Als Athlet vielleicht 5/10, Strategie 8/10 und mentale Stärke im Rennen 8/10.
Was war im letzten Race 2021 gut und wo gab es Verbesserungsmöglichkeiten?
Gut... (denkt nach) schwer zu sagen. Wir hatten wirklich ein tolles Team. Die Stimmung war die ganze Zeit über klasse, auch in schwierigen Situationen. Außerdem hatte ich einige wirklich gute Flüge und meine körperliche Vorbereitung war nicht so schlecht. Und Verbesserungen…? Nun, im Grunde kann man alles verbessern. Immer! Kommunikation, Planung, Strategie, körperliche Vorbereitung und so weiter...
Was sind deine Schwachpunkte?
Beim letzten Mal hatte ich manchmal Probleme mit der Orientierung an unbekannten Orten. Deshalb sind wir jetzt bei der Routenplanung mehr ins Detail gegangen. Abgesehen davon würde ich sagen, dass ich keine besonderen Schwachpunkte habe.
Erzähle uns bitte mal über dein Support-Team! Wer gehört dazu? Wer macht was?
Fiorenzo Graziano, genannt Fiore, ist der Kapitän des Support-Teams und einer der Runner Supporter. Marco Recchia ist mein Personal Trainer und ein begnadeter Physiotherapeut. Dann ist da noch Michele Boschi als strategischer Meteorologie-Guru. Sasha Weller hilft auch als Runner Supporter.
Eigentlich müsste ich jetzt noch Marco Diliberto nennen, der auch 2021 zu unserem Team gehörte. Wir waren schon vorher eng befreundet – und nach den X-Alps waren wir beste Freunde. Sowas schweißt zusammen! Vor zwei Jahren lief es so gut mit unserer Crew, dass wir 2023 unbedingt wieder zusammen an den Start gehen wollten. Letzten September erhielten wir dann beim Filmfestival am Coupe Icare auch noch für „Vulnerability" einen Award. Marco war auch dabei und wir waren sehr stolz und glücklich! Auf dem Weg nach Hause unternahm er eine Bergtour und kam dabei tragisch ums Leben. Die X-Alps 2023 sind also etwas ganz, ganz Besonderes für unser Team: Wir starten für Marco!
Wie gut kennt ihr euch untereinander?
Es ist die gleiche Crew wie beim letzten Rennen, nur dass Sasha hinzugekommen ist. Wir kennen uns alle sehr gut und sind eng befreundet. Ich habe keine Zweifel daran, dass es wieder sehr, sehr gut funktionieren wird. Einige von den Jungs wohnen zwar ziemlich weit weg, aber sie sind einfach großartige Menschen. Ich kann mich zu 100 Prozent auf sie verlassen!
Wie wichtig ist deiner Meinung nach Erfahrung?
Erfahrung ist sehr, sehr, sehr wichtig! Sie macht vielleicht 80 Prozent des Rennens aus. Die X-Alps sind auf einem viel höheren Niveau als alle anderen Hike & Fly-Rennen. Es ist zehn Mal größer als alle anderen Wettbewerbe. Schau dir doch nur die Kilometer an... Daher ist das Niveau der Piloten und Athleten außergewöhnlich hoch. Es sind die Besten!
Fünf oder sechs Athleten sind vielleicht gut genug, um zu gewinnen: Chrigel Maurer, Maxime Pinot, Aaron Durogati (wenn das Wetter gut ist), Patrick von Känel, vielleicht Damian Lacaze. Alle anderen sind nur dort, um ihre persönlichen Ziele zu erreichen...
Wie wichtig ist die Ausrüstung?
Die Ausrüstung spielt eine große Rolle, aber weniger in Bezug auf die ultimative Leistung, sondern mehr in Bezug darauf, wie man sich damit fühlt. Während des Rennens wirst du mit brutalen Bedingungen konfrontiert, du musst dich daher mit deiner Ausrüstung wohlfühlen und deinem Schirm vertrauen. Das kann bei sehr extremen Verhältnissen tatsächlich einen großen Unterschied ausmachen. Option A) ist: Du kannst immer noch fliegen und fühlst dich wohl. Option B) lautet: Du kannst noch fliegen, aber du fühlst dich nicht mehr gut – und triffst möglicherweise schlechte Entscheidungen. Und C) Du traust dich nicht mehr zu fliegen und beschließt zu landen. Das Wohlfühlen wiegt schwerer als höchste Leistung! Sonst würden wir ja auch alle mit ultraleichten CCC-Schirmen fliegen. Das ist auch der Grund, warum ich mich beim letzten Mal für den NOVA entschieden hatte und mich freue, wieder mit dem XENON zu fliegen. Das passt einfach. Mein Gurtzeug, das ARTUS Race, ist wirklich leicht, aerodynamisch und bequem.
Worauf freust du dich am meisten? Wovor hast du Angst?
Das Schönste wird wieder das Abenteuer an sich sein – zusammen mit guten Freunden. Nach all den Stunden der Planung und des Nachdenkens freuen wir uns jetzt sehr auf Startschuss und endlich im Rennen zu sein.
Persönlich habe ich schon etwas Angst, meine Unterstützer, Fans, Familie und Freunde zu enttäuschen. Sie haben so viel in mich investiert und mir so viel gegeben… Ich muss zugeben, dass die Angst, ihre Erwartungen nicht zu erfüllen, mich ganz schön unter Druck setzt. Normalerweise denke ich nicht über das Rennen selbst nach, aber hier spüre ich den Druck von außen deutlich.
Zum Risikomanagement: Wie schaffst du es, bei den X-Alps so gut wie möglich abzuschneiden und dich trotzdem nicht zu sehr in Gefahr zu bringen?
(Lacht) Hmm... Ich denke, in der Welt des Gleitschirmfliegens muss man generell demütig sein – die Natur ist so viel stärker als wir. Man muss sich also seiner Fähigkeiten und seiner Erfahrung bewusst sein und das richtige Gleichgewicht zu den herrschenden Bedingungen finden. Was bei den X-Alps noch dazu kommt: du wirst irgendwann mental extrem müde. Du bist nicht mehr klar im Kopf und musst dich dann blind auf deine Supporter verlassen.
Wer mitmacht, um zu gewinnen, muss verdammt viel riskieren. Wenn du nur dabei bist, um Spaß zu haben und ein großes Abenteuer zu erleben, bist du auf der sichereren Seite und musst mehr deinen Instinkten vertrauen. Ansonsten ist das Risiko extrem groß! Denn was ist wichtiger: dein Leben oder das Rennen?
Bei jeder Art von Gleitschirmwettkampf begibt man per se sich in Gefahr – und die X-Alps sind sicher am extremsten. Zum Glück konzentriert sich Red Bull zunehmend darauf, das Rennen sicherer zu machen. Ich begrüße die neuen Regeln, nach denen Wolkenfliegen wirklich bestraft wird, oder einfach nur das Eingehen eines unverantwortlich hohen Risikos beim Landen auf der Straße usw. Es ist gut, was sie jetzt tun – aber es könnte durchaus noch mehr sein.
Red Bull legt viel Wert auf die Social-Media-Aktivitäten der Athleten. Ist das nicht ziemlich stressig?
Ach, ich spüre diesen Druck von Red Bull eigentlich nicht. Zum Glück kümmern sich mein Team, meine Freunde und meine Familie um die Social-Media-Aktivitäten – so dass ich mich auf das Rennen konzentrieren kann.
Lass uns mal über Geld sprechen: Was denkst du, wie viel dich die Teilnahme an den X-Alps kosten wird? Wie bekommst du das Geld zusammen?
Letztes Mal haben wir 15.000 Euro einschließlich des Medienteams für den Film ausgegeben. Dieses Jahr werden wir viel weniger brauchen. Wir werden keinen Film produzieren und zum Glück gehören die Campervans uns. Dadurch, dass wir sie nicht mieten müssen, sparen wir eine Menge an Geld.
War/ist es schwierig für dich, Sponsoren zu finden?Einen Sponsor zu finden, der Geld zahlt, ist generell sehr schwierig. Die Tourismusregion "Adamello / Paganella" ist mein größter Sponsor. Ich bin sehr froh, dass sie dieses Sponsoring seit Jahren fortsetzen. Es ist zu einer echten Partnerschaft geworden!
Für mich persönlich ist es ziemlich schwierig. Ich bin eher schüchtern und nicht so extrovertiert. Ich tue mich schwer damit, auf andere Menschen zuzugehen.
Stehst du in Kontakt mit anderen Teilnehmern?
Es gibt eine WhatsApp-Gruppe, in der alle Athleten vertreten sind, und das ist sehr hilfreich. Wir besprechen Sicherheits- und Streckenfragen, und Red Bull hat wirklich ein offenes Ohr. Ansonsten habe ich nur gelegentlich Kontakt zu anderen Athleten.
Vielen Dank für das Interview, Nick. Wir wünschen dir und deinem Team viel Erfolg und viel Spaß – und vor allem, dass ihr gesund und munter bleibt.