Tag 5
NOVA X-Alps-Blog: DO, 24.06.2021
Tag 5: Windig, aber gut im Mittelfeld
Heute Abend hätte ich mich zu gern zu Théo und Nicola gesetzt und gefragt: «Und, wie war’s so in der Luft?» Ich (heute Roli Mäder) hätte gespannt auf die Antwort gewartet, weil, an so einem Tag wie heute, da hätte ich ziemlich sicher irgendwo den Flug abgebrochen. Oder ich wäre gar nicht erst gestartet am Grubigstein, wo ihr spektakulärer Tagesritt in der Luft begann. Da standen die Fahnen schon stramm an den Stangen. Die scheinbar spontanen Thermikwolken trieben in beunruhigendem Tempo über den Himmel.
Ich vermute, dass einige Piloten sich zum Landen entschlossen, weil es zu wild war, das vermute ich mal. Vielleicht Manuel Nübel, Kaoru Ogisawa, Yael Margelisch oder Laurie Genovese. Steve Bramfitt trieb es auf die Spitze. Seine dicke Haut, was windige Täler anbelangt, kenne ich aus eigener Beobachtung von einem seiner Trainingsflüge im Berner Oberland, wo er wohnt. Er flog ins obere Lechtal – mit seiner ganzen Verwegenheit – und landete an der Straße im Wald.
Aus zweiter Hand war zu vernehmen, dass Laurie Genovese, vor dem erfolgreichen Start heute, am Fuß des Grubigstein den Retter werfen musste. Aber lieber am Retter in den Wald als am Schirm in die Stromleitung. Retter und Schirm hin, Laurie OK. Und kurz darauf war die Französin bereits wieder mit dem Reserve-Equipment auf der Straße unterwegs. Es wurde hart gekämpft, wo die Thermik stand, das war heute klar zu sehen. Das zu beurteilen, sind auch die Webcams empfehlenswert. Am immer gleichen Bildschirm des live-trackings ist nicht zu sehen, ob es regnet oder die Sonne scheint. Wenn man eine passende Webcam findet, bekommt man einen richtig guten Eindruck der Lage.
Feucht und tief an der Spitze
Vorne im Rennen waren Wind und turbulente Thermik selten bis gar nie ein Thema. Da wurde in einer Wettersuppe sondergleichen geflogen. Mal stellte sich einer unter das Dach einer Alphütte, weil es schüttete wie aus Kübeln, mal wartete einer im Nebel auf das Startfenster, mal drehte man an Dreitausendern unter der Basis auf 1500 msl. Viele Abgleiter, viel Laufen, im Flachen und im Steilen, bergauf und bergab.
Von der Spitze in der Schweiz muss man nicht viel berichten, was das Fliegerische anbelangt. Es war ein stetes Gleiten-Laufen-Wiederholen. Ergo gab es nur wenig Bewegung in der Rangliste. Aber auch bei diesem Hike & Fly kann man Fehler machen. Paul Guschlbauer hat einen gemacht. Er war am Morgen zwanzig, dreissig Kilometer hinter Chrigel gut unterwegs. Dann entschied er sich, durchs Sernftal über den hohen Panixerpass ins Vorderrheintal zu gehen und zu fliegen. Das liegt recht weit abseits der direkten Linie, die durch das Reusstal nach Andermatt führt. Der erhoffte Flug entlang der bekannten Gleitschirmstrecke zum Oberalppass gelang jedoch nicht. Zwar drehte Paul kurz auf, über Brigels, musste dann aber im Schatten landen. Der Umweg zahlte sich nicht aus. Sein Rückstand wuchs um zehn bis zwanzig Kilometer.
Freiwillig fliegen oder freiwillig gehen
Derweil flogen die beiden NOVA-Piloten Nick und Théo im lange sonnigen Österreich gemeinsam, Flügel über Flügel, in ganz anderen Himmeln als in der Wetterküche der Schweiz. Um zwei Uhr nachmittags erreichten sie über Landeck 3400 Meter über Meer! Da spielte aus fliegerischer Sicht heute die Musik. Die Lechtaler Route erwies sich als langsamer und streckenweise unfliegbar. Auch im Inntal und am Arlberg wurde gelandet und wieder gestartet. Während Kaoru Ogisawa es schließlich vorzog, zu Fuß zum Arlberg zu laufen, zur besten Tageszeit und bei blauem Himmel, zog die Dreiergruppe Nicola, Théo und Eduardo Garza aus Mexiko zweitausend Meter über ihm am Grat vorbei. Théo und Nicola konnten wieder einmal zeigen, wozu sie in der Lage sind, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen.
Um drei Uhr nachmittags ging das Abenteuer Arlberg auch für «unsere Jungs» vorerst – meinen Nerven zuliebe – zu Ende. Eine Abschattung vor dem Arlberg war bei starkem Sinken nicht auszuhocken und weg kam auch keiner ohne vernünftige Höhe. Zuerst Théo, dann Nicola landeten knapp außerhalb des Webcam-Bildes am Galzig über der Passhöhe. Das hochaufgelöste Bild zeigte recht gut die Situation: Viele Wolken, viel Wind und viel Bewegung im thermischen Bereich.
Ihr Reisebegleiter Eduardo verbrauchte noch ein paar meiner Nervenstränge: Er wollte wenig später an gleicher Stelle reinlanden, dachte ich jedenfalls, kam aber mit vier Meter Sinken und fünfzig Sachen dahergefallen. Da war irgendwas mit der Luft nicht mehr sauber. Er drehte zum Tal ab, wohl aus Vernunft, und dann wurde es gruselig: sein Sinken ging auf sieben vertikale Meter bei 70 km/h horizontaler Geschwindigkeit – ob er dazu noch im Gas stand? – und liess sich im Wald unten am Gegenhang wieder hochblasen. Nein, das war nicht schön. Ich möchte das eigentlich nicht sehen. Ich würde, wenn ich so bei Théo und Nicola hocken würde, heut’ Abend, fragen: «Habt ihr da gedacht, das hätten wir auch tun sollen?» Auch auf diese Antwort wäre ich sehr neugierig.
Nichts Neues im Westen
Die Bewegungen in der Rangliste blieben im großen Spitzenfeld im übersehbaren Rahmen. Sicher war es ein spannender Wettkampftag, trotz der geringen Streckengewinne an der Spitze. Es muss nicht immer weit gebolzt werden, um das zu erleben, was einen solchen Wettkampf ausmacht. Die Bergwelt über das Glarnerland ins Urnerland ist absolut gewaltig, vielleicht sogar noch ein Zacken schroffer als die bisherigen Voralpen und Alpen entlang der Route.
Chrigel hat sich ein schönes Tagesgeschenk gemacht. Er blieb von früh bis spät in Führung und wird voraussichtlich zum Abendessen in Fiesch eintreffen, wahrscheinlich zu Fuß, möglicherweise als einziger oder wieder von Patrick gefolgt. Die bunte Verfolgerschar hat er derweil nicht abschütteln können und dass das heute nicht möglich sein würde, das wusste er wohl schon am Morgen. Also ein flotter Renntag für den Champion im härtesten Gleitschirmwettkampf der Welt.
Text: Roli Mäder (NOVA Teampilot)
Das Video zu Tag 5 könnt ihr hier ansehen. Weitere aktuelle Clips findet ihr auch in unserer Facebook-Playlist.