Tag 13
NOVA X-Alps Blog: FR, 02.07.21
Chauffeur, den Wagen bitte!
Die Piz Palü-Truppe, die gestern so heroisch ein letztes Mal marschiert und geflogen ist, versammelte sich am Morgen des letzten Tages um den Kronplatz. Paul Guschlbauer, Tobias Großrubatscher und vor allem Manuel Nübel, der gestern noch den Nachbrenner zündete, etwas weiter vorne, Michael Gierlach, Aaron Durogati, Damien Lacaze sowie Ferdinand van Schelven etwas dahinter. Sie ringen um die Plätze 6 bis 12. Das Ziel am Zeller See, wo am Abend die Party steigt, dürften sie fliegend nicht mehr erreichen.
Heute um halb Zwölf mittags bleibt die Uhr unerbittlich stehen. Dann heißt es für alle, die noch im Rennen sind: einsteigen! Jetzt dürfen auch sie bequem Auto fahren, alle zusammen, bequem mit den Freunden. Auch unter den Gipfeln von Mont Blanc, Monte Rosa, Matterhorn und in den italienischen Tälern besteigen Yael Margelisch und der Rest der 15 noch aktiven X-Alps-Athleten ihre Support-Fahrzeuge. Bald kann jeder in Zell am See aussteigen – am Ende dann doch mit einem Grinsen im Gesicht. Geschafft. Der Druck fällt ab. Wir vermuten mal, dass die Askese der Athleten bei dem einen oder anderen ein Ende finden wird.
Ein Blick nach Terfens
Gestern fragte ich (Till) NOVA-Geschäftsführerin Sissi Eisl zum Verlauf der Red Bull X-Alps 2021 aus NOVA-Sicht. Ihre Antwort: „Ich bin sehr zufrieden. Natürlich wäre eine Zielankunft unserer Jungs schön gewesen, aber es war dieses Jahr sehr schwer und sie haben auch ein bisschen Pech gehabt. Die Jungs haben alles gegeben, bis zum Ende gekämpft und ihr Potenzial gezeigt. Sie kamen sympathisch rüber und präsentierten sich als faire Sportler. Ich habe intern schon vor Beginn gesagt, dass wir bei den X-Alps eigentlich nichts zu verlieren haben, weil wir von Beginn an so gut zusammen gearbeitet haben. Intern waren die X-Alps super für NOVA. Unsere Idee ist voll aufgegangen und wir ziehen daraus Motivation und Schwung für die Zukunft.“
Ein Blick hinter die Kulissen
Das Fazit von Sissi deckt sich mit meinem Bauchgefühl. Damit du, lieber Leser, die folgenden Absätze verstehst, will ich kurz erläutern, was meine Rolle bei NOVA ist: Ich bin seit 2003 an Bord, aber immer als externer Berater, Helfer und Dienstleiter. Ich habe also seit langem recht guten Einblick und bin zugleich Außenstehender.
Die Entscheidung sich bei den X-Alps zu engagieren, war sicher die richtige. Hike & Fly boomt. Und wenn man einen Schirm im Portfolio hat, der bei den X-Alps in der Luft ist, erhöht sicher die Kredibilität in diesem Bereich. Aber das eine ist das Mitmachen als solches, das andere das Wie. Und das hat mir von Anfang an richtig gut gefallen. Nach dem Motto „do it well or leave it” erfolgte das Engagement mit vollem Herzen.
Jeder in der ganzen Firma haute sich rein und trug, frei von Eitelkeiten, sein Bestes zum Ganzen bei: Sissi Eisl, bei der alle Fäden zusammenliefen und die sie mit bewundernswerter Souveränität auch in der Hand behielt, Philipp Medicus als Konstrukteur, Niki Kurcz als Produktionsleiter, die Testpiloten Toni Bender, Ferdi Vogel und Fabian Gasteiger, „Harness Doctor“ Luis Depping zusammen mit Michael Kantioler, Paul Nagl als unersetzliches Flug- und Service-Multitool, während des Rennens Vera Polaschegg und Ole Dalen als Videoleute und Fotografen, Ronny Kirschner als Ergänzungs-Kameramann und Zusatz-Multitool, Kerim Jaspersen, der sich im fernen England um den Videoschnitt kümmerte, Linda Maier und Ines Hasenauer, die sich um die Website sowie Facebook und Instagram kümmerten, und zuletzt Roli Mäder und ich als Blogger. Was für ein Aufwand! Aber dieser Aufwand hat sich gelohnt – auch wenn unsere „Jungs“ weniger erfolgreich waren als erhofft.
Ken Oguma, Théo de Blic und Nicola Donini
Ken war für uns im Vorfeld ein wenig die Wundertüte. Wir kannten ihn nicht, aber er kam mit besten Empfehlungen von Hangai San, unserem langjährigen Partner in Japan. Und wie immer konnten wir uns auf Hangai verlassen: Ken war großartig! Wir lernten ihn als überaus freundlichen, extrem gut organisierten Menschen kennen. Als ehemaliger Marathon-Läufer war er körperlich sehr gut drauf. Und bis zu seiner unglücklichen Landung überzeugte er mit großem taktischen und fliegerischen Können. Und dies, obwohl er sich in den Alpen nicht gut auskannte und vor dem Rennen wegen Corona plötzlich ohne Supporter dastand. Ken bedankte sich mehrmals für die Unterstützung seitens NOVA und wir freuen uns, dass er in Zukunft enger mit NOVA arbeiten will.
Théo de Blic hatte sozusagen die Rolle des „Anchorman“ bei unserem X-Alps Engagement inne. Als sich der Franzose während des Coup Icare 2019 bei NOVA bewarb, erzählte er uns und von seinen X-Alps-Plänen – und wir ihm von unseren. Beide Partner hatten das Gefühl: das passt! Und es passte. Théo war bei der Entwicklung des XENON von Anfang an mit dabei (wenn auch wegen seines Unfalls in der Türkei weit weniger als erhofft). Sein Ziel war, Zell am See zu erreichen. Davon ist er nach einigen taktisch Fehlern, der Begegnung mit dem Kabel der Materialseilbahn sowie der 48 Stunden dauernden Zeitstrafe leider weit entfernt – was ihn am allermeisten grämt. Aber er hat sich reingehängt und gezeigt, dass er auch als Streckenflieger großes Potenzial hat. Wir freuen uns sehr auf die weitere Zusammenarbeit mit ihm!
Nicola „Nick“ Donini flog geduldiger als Théo und geriet dadurch weniger unter Druck. Aber auch er missachtete eine Flugverbotszone und wurde mit 48 Stunden Zeitstrafe bestraft. Bei der darauf folgenden Aufholjagd flog er im Duett mit Théo in die Materialseilbahn. Anders als Théo verletzte sich Nick dabei am Rücken (Haarrisse in zwei Wirbeln) und musste aufgeben. Leider kann er deswegen nicht an den am Wochenende beginnenden Akro-Weltmeisterschaften teilnehmen (Théo ist dabei. Er muss beim Fliegen von XC auf Akro umschalten.). Nick schaut aber bereits nach vorne, spricht von den X-Alps 2023 und wir freuen uns, dass die bisher schon gute Zusammenarbeit mit ihm künftig noch enger wird.
Im Namen von NOVA danke an Ken, Théo und Nick sowie ihre Betreuer-Teams, die allem Stress zum Trotz immer gut gelaunt blieben. Auch das ist eine Leistung!
Der Schirm als solcher
Bereits der erste Proto des XENON war sehr erfolgversprechend – und das ist immer ein gutes Zeichen. Im Laufe der Arbeit entstand eine wunderbare Ärmel-hochkrempel-Atmosphäre mit viel Dynamik und dem schönen Gefühl, dass da etwas Gutes reift. Alle zogen an einem Strang und ordneten sich dem großen Ganzen unter: „WIR kriegen das zusammen hin!“
Es freut uns daher sehr, dass Théo, Ken und Nick mit ihrem Equipment mehr als nur zufrieden waren. Vor allem beim Prolog konnte man sehen, wie gut der XENON gleitet, steigt und im Gas stabil ist. Alles in allem, denke ich, darf Geschäftsführerin Sissi sehr zufrieden sein. Und mit ihr das ganze NOVA-Team.
Ein Dank von den Bloggern an die Leser
Das allerletzte Wort gönnen wir uns selbst: Wir beide, Roli Mäder, Team Pilot aus dem Berner Oberland, und Till Gottbrath, Captain des NOVA-Pilots Team wohnhaft im Chiemgau, hatten richtig viel Spaß bei der Sache. Das Bloggen war teils richtig stressig. Jederzeit konnte man etwas verpassen und man arbeitet an einem dynamischen Objekt: Kaum war der Satz geschrieben, überholten uns schon die Ereignisse. Und aus der Ferne erfuhren nicht immer, warum was passierte. Wir zogen dann unsere Team-Piloten zu Rate, die Support-Teams der Athleten, unser On-Site Media-Team sowie alle möglichen Gleitschirm-Insider, die wir nach zusammen gut 70 Jahren Paragliding-Erfahrung kennen. Eine echte Herausforderung, die aber auch viel Spaß machte.
Wir haben uns große Mühe gegeben, den Blog – so wie versprochen – neutral und informativ zu schreiben und gleichzeitig auch eine persönliche Note reinzubringen. Und vor allem: Von Piloten für Piloten! Wir hoffen, dass uns das gelungen ist und euch das Lesen Freude bereitete. Danke jedenfalls für die vielen netten Kommentare. Wir beide gönnen uns jetzt ein wohlverdientes Bierchen (und Till schnürt sein Ränzlein für das Bordairrace in der Wildschönau. Wer also noch keine Überdosis Live Tracking intus hat, kann auf www.bordairrace.com noch mehr bekommen).
In diesem Sinne euch allen: Prost, schöne Flüge und allzeit happy landings!
Text: Till Gottbrath (Captain NOVA Team Pilots) & Roli Mäder (NOVA Team Pilot)
PS: Schaut euch unsere X-Alps-Clips in den YouTube- und Facebook-Playlisten an.