Tag 4
NOVA X-Alps-Blog: MI, 23.06.2021
Und wie würden die Helden das Rheintal queren? Vermutlich so, wie sie vieles während dieses Rennens tun: Sie tun etwas, das den lokalen Piloten als unmöglich erscheint. Und sie tun es mit Bravour. Wir werden sehen.
Das Wetter: ist jedenfalls nichts für uns Normalpiloten! Der DHV meldet: „Anfangs noch wolkig, dann aufgelockert, nachmittags am Nordalpenrand aufquellende Schauer/Gewitter. Inneralpin föhnig und etwas beständiger. Spätnachmittags soll eine starke, frontartige Gewitterlinie vom Bodensee her auf Österreich übergreifen!“ Also Jungs und Mädels: AUFGEPASST!
Rückblick auf gestern Abend
Wie nicht anders zu erwarten, teilten sich am Grubigstein die Meinungen, bzw. das Feld: Der schweizerische Doppelpack mit Chrigel Maurer und Patrick von Känel ergänzt um Aaron Durogati und Benoit Outters entschied sich für die Inntal-Variante. Sie profitierten nach einem – sagen wir mal «sportlichen» – Start im Lee des Grubigstein von noch sowas wie Streckenflugbedingungen.
Gruppe Nord bestehend aus Paul Guschlbauer, Tobias Grossrubatscher, Simon Oberrauner sowie den beiden Aufholern Michael Gierlach und Maxime Pinot – aha, der von vielen als größter Konkurrent zu Chrigel betrachtete Franzose macht mächtig Boden gut! – entschieden sich für die direktere Nordlinie durchs Lechtal.
Hinten hatten Nicola Donini und Théo de Blic Pech mit dem Tageszyklus. Von ganz hinten konnte mit guter Alpenthermik aufgeschlossen werden, nach vorne ging das günstige Wetterfenster zu, nachdem die beiden NOVA-Piloten den weiten Weg an den Chiemsee und zurück zum Signboard geschafft hatten. „Eine doofe Boje“, dürften die beiden gedacht habe. Nicht so hingegen Michael Lacher! Der Allgäuer lachte sich ins Fäustchen, flog nachmittags bei Bruthitze zur Boje und zurück – fast bis an die Fersen von Théo, der seit Stunden in der Ebene dahintrottete. Für Nick und Theo kommt jetzt die Phase, in der es zu kämpfen gilt und mentale Stärke zu beweisen.
Ein Schweizertag einmal anders
So ging’s heute weiter: Es ist schon fast eine X-Alps-Tradition – Chrigel fliegt allein an der Spitze liegend in sein Heimatland ein. Das war heute mal anders. Patrick von Känel bot ihm die Stirn und die beiden Schweizer überflogen fast zeitgleich den Rhein und die Landesgrenze. SUI 1 und SUI 2 zeigten ein perfektes Tages-Timing bis am Nachmittag.
Beim Pferderennen sagt man, man erkenne den Sieger am Start. Genau so machten es Chrigel und Patrick. Sie stiegen im Morgengrauen südlich des Arlberg in rund 2700 Meter Höhe auf. Ein früher Gleitflug brachte sie weit voran und war genau mit der Thermik abgestimmt. Die folgenden Stunden arbeiteten sie sich von tiefen Wolken und Wind geplagt, aber beharrlich vorwärts Richtung Rheintal. Ihre Route lag optimal zur sichersten Querung über das breite Rheintal zum Gonzen mit Anschluss an die Churfirsten. Von dort aus konnte der Säntis mit seinem Wendezylinder im besten Fall im Gleitflug genommen werden.
Aber dann kam der Schweizer Express ins Stocken. Tiefe Basis und Abschattungen zwangen beide einige hundert Höhenmeter unter dem Wendezylinder zu Boden. Aufstieg zu Fuß. Und dann kam das, was an diesem Schweizer Tag auch anders war. Die immer präsenten Verfolger dieser Tage holten mächtig auf! Und zwar in großer Breite.
Pinot schaltet den Turbo ein!
Maxime Pinot konnte endlich alle falschen Entscheidungen und erlittenes Wetterpech über weite Strecken abschütteln. Seine Route aus dem Lechtal über Feldkirch direkt ins Toggenburg bei Buchs war deutlich schneller als die der Schweizer, sowie die nochmal etwas andere Route im Inntal, die Benoit Outters und Aaron Durogati flogen. Noch vor der Querung des Rheins überholte Maxime Landsmann Benoit. Dann holte er jenseits der Grenze Liechtenstein-Schweiz Aaron fast ein.
Aber nur fast… Denn jetzt hatte der Italiener das Glück vollständig auf seiner Seite. Er querte dicht vor Maxime tief über den Rhein, fand im flachen Tal stark versetzte Thermik und dann im höher gelegenen Hochtal des Toggenburg etwas ruhigere. Es reichte gerade, um die beiden Schweizer Wanderer nur Meter vor dem Wendezylinder an der Flanke des Säntis in der Luft zu überholen. Ein magischer X-Alps-Moment! Also, die Schweizer führten das Rennen sicher und gut in die Schweiz, der Italiener übernahm aber bequem und stilsicher die Führung – in der Schweiz. Eine kleine Sensation, denn es ist lange her, dass kein Schweizer in der Schweiz geführt hat. Und auch vor Chrigel war es oft ein Schweizer in der langen X-Alps-Geschichte. Wir können uns jedenfalls nicht entsinnen und freuen uns über genaueres Wissen.
Maxime derweil musste schon eingangs Toggenburg, einige Kilometer vor dem Säntis, landen. Er verlor wieder über eine Stunde auf den neuen Leader. Ein weiterer Wermutstropfen für den Franzosen. Aber Chrigel hätte mehr Grund zur Sorge. Oder auch nicht… Er fliegt seit rund zwanzig Jahren Wettkämpfe und hat viele im Infight mit anderen Favoriten gewonnen.
Hurra, X-Alps mit Spannung!
Das Wunderbare für uns Zuschauer ist: Endlich läuft die Sache mal anders als so viele Male zuvor. Momentan stellt sich nicht die alte Frage: Wer belegt den ersten Platz HINTER Chrigel? Die Frage heißt: Wer belegt den ersten Platz? Es gibt eine internationale, breite Spitze. Chrigels Heimspiel ist deutlich würziger denn je. Sein Titlis-Move von 2019 – der war heute an anderer Stelle nicht möglich.
Dagegen sprachen einige Faktoren: Tiefe Basis, Abschattungen, Ausbreitungen, Wind. Spannend für mich (heute schreibt wieder Roli Mäder aus der Schweiz), wo es bei diesen Bedingungen und schlechten Prognosen für die nächsten zwei Tage durchgeht. Wer sich für welche Route nach Fiesch entscheidet. Es gilt, wie schon in Österreich und Deutschland, aus den Voralpen schlau ins Hochgebirge zu kommen. Viele Wege führen nach Fiesch, besonders bei den angekündigten tiefen Flughöhen, windigen Höhenlagen, kurzen fliegbaren Stunden und langen Laufstrecken.
Auf dem Weg Richtung Fiesch
Gegen sechs Uhr abends standen bereits acht Piloten jenseits des Rheins auf Schweizerboden, am Turnpoint Säntis vorbei oder dicht davor. Ein richtiger Spitzenpulk machte sich auf den Weg über die hohen Berge ins Gleitschirm-Mekka Fiesch.
Nach einem Abgleiter ins Toggenburg starteten Chrigel und Patrick und Aaron hoch über dem Walensee und stellten die Weichen für ihre weitere Routenwahl ins Glarnerland. Chrigel vorne weg fand in fast völlig abgeschattetem Gelände immer wieder magisches Steigen und setzte sich seinem Status als Champion entsprechend zeitweilig etwas ab. Aber nur «etwas» und alles andere als «deutlich». Mehr zur Route in der Nachlese morgen, wenn klar ist, wo sich die Athleten da vorne aufs Ohr gehauen haben. Maxime wäre es zu gönnen, nach seiner Super-Leistung heute, wenn er den Abgleiter ins Glarnerland auch noch schafft. Ist schwer zu sagen in der Wetterküche, die da grad brodelt.
So, überspringen wir heute das Mittelfeld, das eher schlank wurde und berichten stattdessen noch von ganz hinten.
Morgenröte für die NOVA-Jungs
Nicola Donini, des Laufens müde, querte das Inntal nach taktischem Warten am Morgen auf dem letzten Platz (!) liegend souverän im Flug und machte wichtigen Boden gut. Nerven hat der Junge! Er überholte Gavin McClurg und Nick Neynens und gab den Platz am Ende der Rangliste deutlich ab. Tatsächlich fand er Anschluss an eine lose Gruppe von nicht weniger als neun Leuten, die auf 30 Kilometer verteilt auf Lermoos zusteuerte.
Théo de Blic wechselte im internen NOVA-Duell wieder einmal den Platz mit Nick, zeigte sich aber lauffreudig und flog mit seiner herausragenden Schirmbeherrschung über schwierigstes Gelände. Über den Dächern von Josefsthal passierte er den Schliersee fliegend, schlug sich, immer noch in der Luft, südlich des Tegernsees in die Berge und schloss fast zu der ansehnlichen Truppe vor Lermoos auf. Also alles wieder im grünen Bereich für den Franzosen. Noch manches Blatt kann sich wenden und die Plätze können in großen Sprüngen wechseln.
Jedenfalls freuen wir uns schon auf morgen!
Text: Roli Mäder (NOVA Team Pilot)
PS: Hier ist das Video zu Tag 4. Weitere aktuelle Clips findet ihr auch in unserer Facebook-Playlist.