Tag 7
NOVA X-Alps Blog: SA, 26.06.21
Rückblick auf gestern Abend, Freitag, 25. Juni 2021
So richtig viel passierte nicht mehr. Waffenstillstand. Offensichtlich schonte man die Kräfte, in der Hoffnung auf einen guten Flugtag am Samstag. Für wen es Sinn machte, der stieg noch ein paar Höhenmeter auf, aber auch das war kein Muss. Denn es würde kein Abgleiten & Hiken am frühen Morgen geben. Alle würden so lange mit dem Start warten, bis die Hatz beginnen sollte.
Und wie konnte der arme Nick Donini seinen Night Pass ausnutzen? So wie erwartet: nicht besonders gut: das lag aber nicht an Nick, sondern am Gelände zwischen dem Säntis und dem Walensee. Es eignet sich einfach nicht dazu, Kilometer zu fressen, als ob es im Talboden geradeaus in die richtige Richtung führen würde. Nick konnte nur wenig gut machen. Sicher weniger, als er sich selbst gewünscht hatte.
Noch enttäuschter dürfte der junge Österreicher Tom Friedrich gewesen sein. Der erst zwanzig Jahre junge Steirer lieferte bisher ein sehr beherztes Rennen und lag solide im Mittelfeld. Aber bei einer harten Landung verletzte er sich am Fuß und musste das Rennen aufgeben. Gute Besserung, Tom, und größte Hochachtung!
Samstag, 25. Juni 2021, 10 Uhr: Die Jagd beginnt
Wie nicht anders zu erwarten, trägt es zuerst oberhalb von Fiesch – und sonst noch nirgends. Michael Gierlach, Markus Anders und Damien Lacaze können als Erste starten und machen Boden gut, während sich die Konkurrenz weiter vorne und weiter hinten noch in Geduld üben muss.
Bald darauf gehen auch Maxime Pinot, Chrigel Maurer und Benoit Outters am Turnpoint 8, dem Dent d’Oche in die Luft. Sie fliegen zunächst mehr oder weniger im Formationsflug. Haben sich Maxime und Chrigel mit einer unsichtbaren Leine miteinander verbunden? Und wie lange ist diese Leine? Oft liegen ihre Schirm-Symbole im Live Tracking direkt übereinander. Sie belauern sich: Wartet einer auf einen Fehler des anderen? Oder sind sie sich einig, zusammen fliegen zu wollen? Outters muss ein klein wenig abreißen lassen, bleibt aber dran…
Patrick von Känel stürmt derweil den Berg hinauf. Vom Grund des Rhone-Tals muss er schnellstmöglich so weit aufsteigen, dass er thermisch fliegen kann, bevor das Führungstrio zu weit enteilt. Derweil finden Simon Oberrauner und Aaron Durogati zusammen, verlieren zunächst aber etwas an Boden, um dann wieder Gas zu geben. Die Crux in dieser Region ist, dass es unten heraus Thermik gibt, sie aber weiter oben verblasen wird. Man braucht viel Gefühl.
Die zweite Garde mit dem Turbo
Anders auf der Ostseite des Rhone-Tals. Hier können Tobias Großrubatscher und Damien Lacaze satt Höhe aufbauen. Sie fliegen an den steilen Südwänden vom Les Diablerets entlang und halten am weitesten nördlich vor, bevor sie zur Querung des Rhone-Tals ansetzen. Dank der guten Abflughöhe und weil der Talwind noch nicht so stark ist, können sie auf der Westseite des Tals bis auf 1650 Meter Höhe hinaufschmuggeln. Super gemacht! Damit sind sie näher am Turnpoint als bisher alle anderen. So geht das. Nur ein paar Meter müssen sie zum Col Vernaz aufsteigen, um dort sofort wieder zu starten. Wie erhofft finden sie Anschluss und können recht zügig den Turnpoint 8 in der Luft umrunden. Die beiden haben heute den Turbo eingeschaltet.
Weniger Geduld bringen Markus Anders und Michael Gierlach nach ihrer Aufholjagd durchs untere Wallis auf. Oder vielleicht haben sie auch einfach nur etwas Pech. Sie queren das Rhone-Tal früher und mit geringerer Abflughöhe von Ost nach West und werden dafür mit einer Landung unten im Rhone-Tal bestraft. Und das liegt auf nur 430 Meter…
Noch weiter südlich quert Paul Guschlbauer. Der alte Fuchs schlupft dabei pfiffig in das Tal von Morgins hinein. Geschützt vor dem Talwind durch die über 2000 Meter hohe Pointe de Bellevue kann er sich langsam, aber stetig ausgraben und sich nach vorne schieben. Klasse gemacht!
Das Hinterfeld zieht sich auseinander
Am Vormittag schließen sich Manuel Nübel, Michael Lacher, Eduardo Garza, Theo de Blic sowie – nach einem grandiosen Morgenflug mit unglaublich viel Gefühl und Geduld – Nick Donini zunächst zu einem Quintett zusammen. Sie kommen recht gut vorwärts, bis vor dem Klausenpass die Truppe wieder auseinanderfällt.
Garza nimmt die Kampflinie und biegt am Klausenpass nach Süden ab, um auf der Nordseite von Clariden, Großem Schärhorn und Groß Windgällen sein Glück zu versuchen (was ihm aber nicht wirklich hold ist). Das deutsche Duo Lacher und Nübel, der heute einen guten Tag hat, fliegt einen Bogen nordwestwärts. Das ist zwar etwas länger, ermöglicht ihnen aber stetiges Vorwärtskommen.
Und unsere Jungs? Nick hat kurz vor dem Klausenpass (Schweiz) leider einen Crash und wird vorsorglich ins Krankenhaus gebracht. Nach Angaben seiner Supporter versuchte er, einem Kabel auszuweichen, das er zuvor übersehen hatte und landete dadurch unsanft. Wegen Schmerzen im Rücken wird er mit dem Hubschrauber zur Untersuchung ins Krankenhaus geflogen. Immerhin besteigt er den Heli auf eigenen Füßen. Wir hoffen, dass Nick nicht ernsthaft verletzt ist und werden berichten, wenn genauere Informationen vorliegen. Nach seinem Abtransport schrieb er zeitnah auf Instagram, er sei ok. Das lässt hoffen.
Théo de Blic flog zum Zeitpunkt des Unfalls direkt neben Nick und auch in das Kabel! Aber der Franzose hatte Glück im Unglück: nur sein Gleitschirm wurde beschädigt. Er setzt das Rennen mit seinem Ersatzschirm fort.
Die Damen gehen eigene Wege
Ganz hinten versuchen die US-Boys Cody Mittanck und Gavin McClurg Anschluss zu finden und ziehen beide den Night Pass. Laurie Genovese und Yael Margelisch zeigen sich mutig und gehen eigene Wege. Anders als alle anderen Athleten machen sie am Walensee eine Schlenker ostwärts und fliegen das Rheintal hinauf! Mag so mancher gedacht haben, was dieser Umweg soll, so werden alle Zweifler eines Besseren belehrt: Die beiden machen mächtig Boden gut! Ich finde es stark, wenn Piloten den Mut haben, ihr eigenes Ding zu machen. Und es ist schön, wenn sie dafür belohnt werden. Dieses Glück hat Kaoru Ogisawa heute leider nicht. Seine Routenwahl führt sozusagen mitten durch, ist aber vielleicht doch etwas zu verwegen…
Kurs Ost an der Spitze
Gegen 15 Uhr nähern sich die Führenden Turnpoint 9, dem Mont Blanc, der westlich umflogen werden muss. Pinot und Maurer vorneweg, Outters knapp hinterher. Maurer und Pinot kappen dann ihre unsichtbare Verbindungsleine und fliegen hier und da – immer noch eng beieinander – auch mal eigene Wege. Jenseits des Mont Blanc wieder nach Norden ab, wollen also offensichtlich den Turnpoint 10, den Piz Bernina «oben herum» durchs Wallis erreichen und nicht durch Italien fliegen. Gegen 18.30 Uhr kann Maxime Pinot ein paar Kilometer Vorsprung auf den – noch amtierenden X-Alps-König Chrigel herausfliegen. Zum ersten Mal steht Chrigel richtig unter Druck. Wird er weiterhin fehlerlos fliegen? Und von hinten, kommt auch Benoit Outters wieder näher. Ja sogar von Känel, Oberrauner, Großrubatscher, Durogati, Lacaze und Guschlbauer sind noch nicht weg vom Platz an der Sonne.
Mein Gott ist das spannend! Wann soll ich nur zu Abend essen? Meine Frau beschwert sich: Bist du an deinem Monitor festgeklebt?
Text: Till Gottbrath (Kapitän NOVA Team Pilots)
PS: Hier ist das Video zu Tag 7. Weitere Clips findet ihr in unserer Facebook-Playlist.