Julie & Paul: Ein Jahr auf Reisen
Reisen mit Gleitschirm und Kletterausrüstung. Geschichten von unterwegs in Nordamerika Teil 1
Einfach machen!
In meinem Kopf war es schon seit vielen Jahren klar, dass ich eines Tages eine längere Reise unternehmen will. Dabei dachte ich nicht etwa an einen Trip von drei Wochen und auch keinen verlängerten Sommerurlaub von sechs Wochen – nein, es sollte ein ganzes Jahr werden. Ein ganzes Jahr in einem Van unterwegs sein und den ganzen Tag tun und lassen, was ich will. Bei dem Wort „tun“ dachte ich hierbei hauptsächlich an meine Leidenschaft, nämlich Sport. Dazu zählt das Berggehen, Klettern, Surfen und natürlich das Gleitschirmfliegen. Bei „lassen“ dachte ich an all diejenigen alltäglichen Verpflichtungen, welche mich von den Aktivitäten abhalten, welche zur Kategorie „tun“ gehören – sprich vor allem Arbeiten und für die Uni lernen.
Nach einigen Jahren eisernen Sparens ergab sich Anfang des Jahres 2022 die Chance, meinen Traum in die Realität umzusetzen. Zusammen mit meiner Freundin Julie buchten wir uns ein One-Way-Ticket nach Denver, Colorado. Wir waren hatten beide bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Fuß auf Nord- oder Südamerika gesetzt und wollten diesen weißen Fleck auf unserer persönlichen Weltkarte endlich angehen. Der kühne Plan: In Denver ein Auto kaufen und damit zunächst nach Kanada fahren, um dann im Spätsommer entlang der amerikanischen Westküste Richtung Mittel- und Südamerika zu fahren und dort den Winter zu verbringen. Ein Jahr „Endless Summer“ also. Wunderbar.
Globetrotter-Lehrgeld zahlen
Jedoch kam alles etwas anders als erwartet, was uns bereits bei der Ankunft in Denver dämmerte (so viel zu unserer akribischen Reisevorbereitung). Wir wurden von kaltem und vor allem sehr starkem Wind und Schnee empfangen. Während der ersten Nächte in unserem Mietwagen froren die Scheiben regelmäßig von innen zu. Minusgrade und vor allem ein eisiger Wind waren an der Tagesordnung. Uns war klar, dass wir uns so schnell wie möglich ein eigenes komfortableres Gefährt zulegen müssen und dann erst mal ab in wärmere Gefilde.
Glücklicherweise zogen wir bereits nach einer Woche bei dem durch Corona und Krisen doch sehr ausgelutschten Gebrauchtmarkt einen Sechser: Ein 4x4 Pick Up inklusive Slide-in Camper stand zum Verkauf und noch dazu zu einem erschwinglichen Preis. Noch am selben Tag vereinbarten wir einen Termin mit dem Verkäufer – und kauften das Auto.
Die Rockies sind nicht die Alpen…
Nach einer Woche frierend im Mietwagen konnte unser Abenteuer nun also wirklich beginnen! Als erste Destination hatten wir Rifle auserkoren. Ein Kletterparadies in den Ausläufern der Colorado Rockies. Hier stand nun Klettern in bestem Kalkgestein auf dem Plan. Und wenn wir nicht kletterten, vertrieben wir uns die Zeit mit Hike & Fly. Oder besser gesagt mit versuchten Hike & Fly-Touren. Das Problem mit dem Fliegen in den Colorado Rockies im April besteht darin, dass zum einen die Berge doch recht hoch sind und dementsprechend noch viel Schnee liegt. Zum anderen weht fast ständig ein sehr starker Wind. Immer aus Westen und immer stark (bis zu 120 km/h).
Ein klassischer Hike & Fly sah also oft wie folgt aus: drei bis fünf Stunden Aufstieg für 1000 Höhenmeter durch schweren, nassen und vor allem tiefen Frühjahrschnee. Oben angekommen standen wir dann komplett nass und frierend an einem zugewucherten „Startplatz“, an dem der Wind von vorne kommt, aber das mit 50 km/h. Darauf folgte, das Wetter verfluchend, der mehrstündige Abstieg durch mittlerweile noch tieferen Sulzschnee, nur um völlig erschöpft und ohne eine Minute in der Luft verbracht zu haben wieder im Tal anzukommen.
Endlich in die Luft
Jedoch gab es auch Ausnahmen zu diesen „klassischen“ Hike & Flys. Ich nenne diese im Folgenden „atypische Hike & Flys“. Das Atypische dabei ist: der „Fly“-Part tritt tatsächlich ein. Einer dieser atypischen Hike & Flys gelang uns an einem sonnigen Tag in der Nähe von Glenwood Springs. Wir hatten aus unseren Fehlern der Vergangenheit gelernt und stiegen zum einen entlang eines Süd-exponierten Rückens (weniger Schnee) auf, und zum anderen starteten wir auf der Leeseite des Berges, welche den starken Westwinden nicht so ausgesetzt war. Nach dem Start mit unserem Tandem, ein NOVA BION 3 Prototyp, fanden wir auch recht schnell eine starke Thermik, welche wenig überraschend etwas ruppig war, da es sich natürlich um eine Leethermik handelte. Trotz allem ließen wir uns nun den Spaß nicht so schnell verderben, wenn wir es schon mal in die Luft geschafft hatten. Also Zähne zusammenbeißen und weiterkurbeln.
Kaum hatten wir den Gipfel überhöht, wurde uns recht schnell klar, dass es mit unseren XC-Ambitionen an diesem Tag nicht weit gehen würde. Der Westwind machte uns mal wieder einen Strich durch die Rechnung. Der starke Wind schien die Thermik zu deckeln und außerdem hatten wir keinerlei Vorwärtsfahrt gegen den Wind mehr, im Gegenteil: es ging rückwärts. Und so klopfte so langsam die Vernunft und der Selbsterhaltungstrieb bei uns an und wir entschieden uns zu landen.
Es geht auch anders
Glücklicherweise sollte es sich nach diesem doch eher harten Einstieg in die Gleitschirmfliegerei auf dem amerikanischen Kontinent doch noch zu unseren Gunsten entwickeln. Bei unserem nächsten Stopp in Moab war es so weit. Der Westwind ließ etwas nach – endlich!
Nach einer längeren Internetrecherche beschlossen wir, unser Glück im nahe gelegenen Castle Valley zu probieren, wo wir gedachten am Fuße den Castleton Towers zu starten. Der Plan war, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: erstens etwas Thermik zu erwischen und zweitens den Tower selbst etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, um ihn dann am folgenden Tag zu erklettern.
Gesagt – getan: Am nächsten Morgen ging es dann mit dem Tandem auf den Schultern Richtung Castleton Tower. Wir entschieden uns bereits morgens aufzusteigen, um der Hitze des Tages zu entgehen. Am Fuße des beeindruckenden Sandsteinturms blies der Wind wie so oft stärker als vorhergesagt und noch dazu aus der falschen Richtung, nämlich aus NO. Wir wagten trotzdem einen spannenden Start von einer Geröllkante in die ersten Thermikablösungen des Tages. Jedoch sollte unsere Ungeduld bestraft werden: Durch den überregionalen Wind war die Thermik zerrissen und noch nicht sehr stark. So schaffte ich es nicht, effektiv zu zentrieren und ehe wir es uns versahen, hatten wir wichtige Höhenmeter verloren.
Nicht aufgeben und positiv denken
Das zwang uns zu einer schnellen Entscheidung: entweder eine Landung an der Straße im Tal oder etwas höher auf einem von hohen Büschen umgebenen Wanderweg. Da wir unsere Mission eines ersten richtigen Thermikflugs noch nicht ganz aufgeben wollten, entschieden wir uns für den Wanderweg. Die Landung verlief gut und sogleich machten wir uns an den erneuten Aufstieg – diesmal allerdings in der Mittagshitze. Als wir völlig verschwitzt zum zweiten Mal am Fuße des Castleton Towers ankamen, wurden wir zu unserer Freude von einem schwächer werdenden überregionalen Wind begrüßt. Zudem hatte er etwas auf Nord gedreht, was einen „luvigeren“ Start zuließ.
Etwas nervös, da wir befürchteten erneut abzusaufen, machten wir uns startbereit und warteten eine gute Windphase ab. Kaum in der Luft, ging es einmal um den Turm herum auf die sonnenbeschienene Südseite. Dort angekommen, fing das Vario immer stärker an zu piepsen. Endlich, eine lang ersehnte Thermik!
Obwohl sie anfangs noch etwas bockig war, nahm das Steigen mit jedem Meter zu. In rasantem Tempo drehten wir direkt an der Südwand auf, vorbei an den kletternden Seilschaften. Wir trauten unseren Augen kaum, als uns dieser wunderbare Thermikschlauch fünf Minuten später und knapp 2000 Meter höher sanft entließ. Der Ausblick über die Wüstenlandschaft Moabs, die Canyons und den Colorado River war einfach atemberaubend! In etwa zwei Stunden konnten wir so bis fast an den Fuß der schneebedeckten La Sal Berge und wieder zurückfliegen. Dann zwang uns die Kälte zur Landung. Glücklich und mit wunderschönen Eindrücken im Gepäck landeten wir also auf der Straße neben unserem Camper. Der Tag hätte nicht besser laufen können! Gekrönt wurde unser Abenteuer im Castle Valley noch von der Besteigung den Castleton Towers am nächsten Tag.
So können wir zufrieden unsere Reise Richtung Norden fortsetzen. Wir sind gespannt, was uns in den kommenden Wochen und Monaten erwartet. Hoffentlich viele Klettermeter und ordentlich Airtime. Wir werden berichten!